Schon die Einleitung: "Lebe Dein Leben..." wirkt auf mich merkwürdig. Was für eine Aufforderung. Was entdeckt jemand, der sich auf so eine Aufforderung hin versucht einen Reim zu machen? Es scheint als ob Sinn ensteht, wenn man sich vorstellt, das man sein Leben nicht Leben kann. Das ist aber ein seltsamer Grundgedanke, der für mich unverständlich ist und auf nichts weiter hinweist als das jemand Entscheidungsverantwortung für sich und andere ausblendet. "Heute ist Heute und Morgen ist Morgen". Das ist ein ähnlicher (auf Zeit beschränkter) opportunistischer Slogan. Man entbindet sich aus einer Berechenbarkeit für den Anderen mit dem Hinweis darauf, das man sein Leben jetzt selbst (er)lebt, und dementsprechend auch für sich selbst intransparenter wird. Das ist zunächst nicht so problematisch(!). In vielen Fällen geradezu wünschenswert. Problematisch scheint es zu werden, wenn jemand weitgehend abgeschottet von seiner Umwelt, diesen idiosynchratischen Spielraum mit der Welt-an-sich verwechselt und dann dauerfasziniert und dauerüberfordert mit Möglichkeiten nur noch seinem eigenen Leben immer weiter hinterherläuft. So etwas gibt es vielleicht. Unter solchen Voraussetzungen dann noch das eigene Welt/Umwelt-Verhältnis (wenigstens teilweise) einem anderen Welt/Umwelt-Verhältnis (z.B. im Sinne einer Intimbeziehung) zu unterwerfen (und das entsprechend wechselseitig), erscheint gelinde gesagt unwahrscheinlich. Kurz: Unter solchen "Vorzeichen" wird die individuelle Lebensplanung zur hedonistischen (wahrscheinlich recht einsamen) Selbst(v)ergötzung; und das doch tatsächlich mit einem bemerkenwerten Vertrauen in eine Art Smith`schen Philosophie der unsichtbaren Hand, welche vorliegende Einzelentscheidungen dann schon harmonisiert. Erstaunlich ist dieser Punkt für mich, weil sich hier Hippieesoterik und liberale Wirtschaftspolitik treffen, wahrscheinlich ohne es zu merken. Auf der einen Seite: Liebe Dich selbst, dann regelt sich der Rest schon von selbst. Oder besser, das liebende Universum oder zumindest die Liebe selbst, werden es schon richten (es soll dann ja z.B. ja auch egal werden wen Du heiratest). Und auf der anderen Seite: "kümmer Dich um Dich selbst und der Markt (oder/und der Staat, bei den Sozialromantikern) wird es schon richten". Esogedusel und wirtschaftlicher Liberalismus sind sich auch in diesem Punkt nicht allzu fern.
Aber es wird ja noch besser ".... das jeder Tag der letzte sein kann". Ich meine, was machen wir aus einer Welt, in der wir uns die Rolle von Hospizpatienten zuschreiben? Aber der wünschdirwas-Grundton ist wohl so einlullend (zumindest in unserer Kultur), das man nicht merkt was man sich da einfängt (nämlich alles andere als etwas das man individuelle Freiheit bezeichnen kann).
".... das jeder Tag der letzte sein kann". Diesen Teil ist wohl als Aufforderung zu verstehen sich nicht mehr mit Zukunft und Vergangenheit auseinanderzusetzen. Denn was würde das für eine Zeitverschwendungs sein, in den letzten Stunden eines Bewusstseins? Vor einer Art virtuellen Apokalypsenmotiv stellt sich nicht mehr die Frage: Wie gestalte ich mein Leben? Es wird vielmehr eine Wartestellung provoziert, eine Art Abwarten auf ein abstraktes Ende hin kombiniert mit dem mindestens naheliegenden Gedanken Bedürfnisbefriedigung möglichst schnell zu vollziehen. (Wobei der liebende Hippieesoteriker hier eher auf eine abtrakte Erleuchtung, statt auf ein Ende wartet und den Konsumaspekt vernachlässigt, wenn nicht verteufelt. Auf dieser Ebene (Apokalypsenmotiv/Erleuchtungsmotiv) begegnen sich Liberale und Hippes dann auch im Freund/Feind-Schema. Andererseits gleichen sich beide in einem wesentlichen Aspekt ihrer Freiheitskonzepte (wahscheinlich wegen ihres diffusen Glaubens an eine "unsichtbare ordnende Kraft"). Sie gleichen sich in der Annahme es gäbe freie Entscheidungen, die nicht in irgendeiner Weise für andere ein Risiko oder eine Gefahr darstellen. (Wohlfahrtstaat und liberaler Verfassungsstaat))
Wie auch immer. Die Grundbotschaften der Aussage "Lebe Dein Leben sodas jeder Tag der Letzte sein kann" bleiben meiner Ansicht nach klar: Es lohnt nicht zu denken. Gebe alles was Du hast und bist für (oder in) den Moment. Wolle alles, sofort. Sei unzufrieden. Frag` auf jeden Fall nicht nach Gestern und nach Morgen, das ist Zeitverschwendung.
Für jeden den es interessiert: ich möchte hier im Prinzip nur darauf hinweisen, das man sein Leben nicht nicht Leben kann und das es einer Amputation wesentlicher Teile des Gehirns gleichkäme auf eine ambitionierte gegenwärtige Perspektive auf Zukunft und Vergangenheit zu verzichten. Jeder weiß das, aber trotzdem.
Manch einer mag das Gefühl haben, die Erde vor uns Menschen beschützen zu müssen und den Schluß ziehen: Bewusste Entscheidungen machen uns viel Ärger. Kürzen wir einfach eine Dimension unserer Bewusstheit. Derjenige der das für sich schafft, der wird auch nicht mehr viel merken, so das seine Welt tatsächlich ein bischn seeliger wird.
Ich verstehe aber auch solche unglaublichen Gedanken nicht; das die Welt vor uns zu schützen wäre. Hallo? Ich meine warum schaffen wir es uns nach ein paar hundert Jahren einzureden, das wir die Beschützer der Erde sind? Aber das ist ein anderes Thema.