Samstag, 12. Januar 2013

Die Koordination unter einander unbekannten

Es ist ja so. Die meisten Menschen kennt man nicht. Und Interaktion zwischen füreinander unbekannten Personen findet bevorzugt in Systemen statt, die zwar quasi katalytisch differenzierte Interaktionen unter unbekannten ermöglichen, dabei aber sehr voraussetzungsreich sind. Jahrmärkte, die Bäckerei, die Wirtschaft, die Wissenschaft, uvm. Ich möchte ein Brötchen kaufen und erwarte, dass jemand in meiner Reichweite das Risiko eingeht ein Angebot vorwegzuproduzieren, das ich dann kaufen kann. Obwohl er mich natürlich nicht kennt und nicht im voraus weiß, dass ich komme und ihm Geld gebe, usw. So weit so trivial.

In diesem Sinne scheint heute die Wirtschaft das System zu sein, dass auf mächtigste Weise Risikoübernahmen motiviert und Interaktionen unter füreinander unbekannten leitet (Es ist nicht die Liebe, es ist wirklich die Wirtschaft). Und wenn ich hier Wirtschaft sage, dann meine ich alle Interaktionen, die sich über Zahlungen gesellschaftlich integrieren und motivieren. Obgleich man feststellen kann das der Begriff “Märkte” in ein gewisses Allgemeinverständnis reinrutscht, das ihn von kommerziellen Märkten unterscheiden kann. Man kann “Heiratsmarkt”sagen und meint damit in unseren Breitengraden in den seltensten Fällen ein kommerzielles System, beispielsweise.

Eine Frage könnte sein: Wie weit lassen sich “Märkte”, letztlich Systeme finden oder erzeugen, die den Vorteil haben, dass sie sozusagen "peer-to-peer" Interaktion unter füreinander unbekannten mit einem Mehrwert versehen und so Motivationspotenzial zur Verfügung stellen.

Seit sich vor ein paar Jahren die ersten Flashmobs “synchronisierten” bin ich vom Grundprinzip dieser, wenn man so will - Blitzverabredungen angetan. Füreinander unbekannte koordinieren ihre Handlungen auf der Basis einer im Netz allgmeinadressierten Offerte zu gemeinsamen Interaktionsmustern, die einen bestimmten Unterschied machen. Faszinierend. Aber als Kunstprojekt jedoch auch schnell langweilig und ausgelutscht.

Viel spannender finde ich nach wie vor den Gedanken, dass es diese “Koordinationen unter unbekannten” natürlich immer schon gab, eben anders und heute mit anderen Vorzeichen und viel mehr Potenzial. Per Anhalter fahren war ja früher nichts anderes als eine durch kleine, aber möglichst prägnant wahrnehmbare Mitteilungen provozierte Idee, die eine Koordination unter unbekannten provoziert. Heute gibt es Internetseiten wie Mitfahrgelegenheit und dergleichen, die diese Idee provozieren. Sozusagen als “per-Anhalter-fahren2.0”-Anwendungen. Worauf ich hinaus möchte: zweckgerichtete Flashmobs, quasi Zweckmobs, sind nichts neues, müssen aber mit den Möglichkeiten des Netzes völlig neu durchdacht werden.

Unsere Denkmuster in denen wir uns die Welt vorstellen bestimmen in einer gespenstisch umfassenden Weise unsere Gesellschaft, unsere Kommunikation. Aber es besteht der berechtigte Verdacht, dass das jeweils dominante Verbreitungsmedium der Gesellschaft diese Denkmuster zu sinnvollen, möglichkeitsreicheren Änderungen provozieren kann. Wenn man sich das mal überlegt: Es gab Zeiten, da war eine Kommunikation mit der Welt höchstens als ein religiöser Akt zuschreibbar (und irgendwann dann natürlich auch als ein Privileg der sogenannten Gatekeeper). Heute ist quasi jeder Tweet, jeder Blogpost an die Welt adressiert, bzw. prinzipiell als für alle lesbar formuliert und in den seltensten Fällen an einen begrenzten Personenkreis addressiert (sondern eben sozial abstrahiert und generalisiert formuliert).  Auch wenn natürlich, dadurch das wir Suchmaschinen brauchen oder uns auch gegenseitig Filter sein können, die effektive Reichweite einer jeden Mitteilung begrenzt ist.
Aber es eröffnet Möglichkeiten. Möglichkeiten für Varianz. Die Möglichkeit z.B. das quasi beliebige Systeme eine viable Anzahl von Mitspielern gewinnen können. Mitspieler, die auf der einen Seite bestimmte Angebote setzen und auf der anderen Seite Angebote annehmen und sich so gegenseitig motivieren und ein System erhalten. Und welche Systeme fahrt gewinnen wird heute vielleicht eher durch unsere Gewohnheiten bestimmt, als durch die technischen Möglichkeiten.

Ich halte die Koordination unter Unbekannten und ihr heute denkbares Mehrwertpotenzial für einen, durch traditionelle Brille, stark unterbelichteten und in zu enge Schemata gefassten Bereich möglicher Gesellschaft, möglicher Kommunikation. Wie ich zu Beginn sagte, Fakt ist: Die meisten Menschen kennt man nicht, ist nicht mit Ihnen verlinkt oder sonstwie in Reichweite. Die Wahrscheinlichkeit, das ein unbekannter genau die zu Deinem Problem passende Hilfe anbieten kann, die ist einfach viel höher als das ein bekannter in genau dem richtigen Moment ein entsprechendes Komplementärinteresse hat. Das ist heute eine mehr oder weniger ausgesprochene Binse. Um nun unbekannte in ihrer komplementären Interessenlage zielsicher zueinander zu bringen, fällt mir z.Z. nichts besseres ein als Allgemeinplätze zu finden, also Themen zu generalisieren und als “Überschrift” anzubieten. Überschriften, die so "selbstverständlich" sind, dass sich Interesse an ihnen finden kann; Überschriften/Themen an denen das Unwahrscheinliche wahrscheinlich werden kann.

Allgemein ist mein Eindruck das unsere Schemata, Zuschreibungsmuster, what ever immer noch sehr auf die Interaktion mit bekannten geprägt sind und diese Schemata unter unbekannten eher etwas holprig daherkommen. Zumindest wird für meine Begriffe der Mehrwert der Koordination unter unbekannten tendenziell unterschätzt, bzw. kommerziellen Ideen überlassen.
Die zunehmende Zahl von Webseiten auf denen man sich sehr direkt und zweckorientiert mit unbekannten verabreden kann, die kann man vielleicht sogar als ein Zeichen lesen, dass die Gesellschaft mit innovativen Schemata für eine erweiterte Kommunikation unter unbekannten zu experimentieren beginnt, und dabei vielleicht sogar ein bischn lockerer wird, bzw sich ein bischn davon löst alle relevanten Märkte letztlich der Wirtschaft (jetzt im Sinne von "Die üblichen Verdächtigen") zu überlassen.(Hier noch ein anderer Versuch zum Thema)

Anhang: Die Idee eine möglichst minimalistische Maschine zu bauen, die die spezifischen Märkte/Themen abstrahiert und zweckorientierte Verabredungen unter füreinander unbekannten unterstützt, die fasziniert mich schon lange. Und ebenso die Überlegung was noch so interessante, resonanzfähige Allgemeinplätze/Ideen sein könnten, an denen Verabredungen sich finden. Meine Spielwiese zur Kanalisation dieser Faszination ist die www.Verabredungsmaschine.de . Die ich just - wenn man so will - in die beta geschickt habe.... ich bin also jetzt besonders interessiert, dass mir unbekannte die Maschine benutzen :) Dort versuche ich meine Idee von einem maximal direkten Minimalinterface auf eine Basis von Verabredungsofferten anzuwenden. Das Prinzip ist einfach. Man kann Offerten suchen und eigene Offerten setzen. Die Suchergebnisse werden so sortiert, dass die Offerte für das nächst eintretende Ereignis ganz oben angezeigt wird. Wird die Ortszeit eines Ereignisses erreicht, dann wird die Offerte automatisch aus dem System gelöscht.