Ich denke immer öfter, dass ein demokratischer Rechtsstaat seine Verfahren früher oder später von Wahlen auf Zufall umstellen muss. Etwas polemischer und prägnanter, aber noch sinngemäß formuliert: Ich würde mich mittlerweile wohler fühlen, wenn unser politisches Personal alle vier Jahre zufällig aus dem Telefonbuch ausgesucht würde. Letztlich sind wir ja, was die Voraussetzungen dafür betrifft, auch schon auf einem guten Wege. Die Älteren unter Euch werden sich erinnern können, wie die noch so schwachköpfigsten Minister letztlich durch ihre Stäbe irgendwann in Richtung eines seriösen Eindruckes gebracht wurden (Die Ministerrigen der letzten Jahre machen da eine merkwürdige Ausnahme). Die schieren Sachnöte eines Amtes scheinen aber generell in Kombination mit der entsprechenden Organisation einigermaßen zuverlässig eine brauchbare "déformation professionnelle" provozieren zu können. Zumindest ist mein Verdacht, dass eine bestimmte überparteiliche "Staatsmännigkeit" nicht zufällig entseht.
Wenn man etwas genauer hinsieht, dann kann man feststellen, dass wir ein sehr robustes politisches System haben, in dem es prinzipiell egal ist, welche konkrete Person welches Ministeramt übernimmt. Und das meine ich erstmal garnicht negativ, sondern eben positiv. Obgleich mir das System schon ein bischn zu robust erscheint. Parteipolitische Verquickungen scheinen nämlich dazu zu führen, dass viel zu wenig Zufall, viel zu wenig ausserparteiliche Einflüsse irritierenden Effekt bekommen.
Dazu kommen ideologische Verirrungen, die dazu führen, dass ohne nennenwerten Widerspruch, z.B. politische Stabilität rhetorisch gern und gut als per se positiv, risokoärmer und vor allem als personale, parteiliche oder programmatische Einheit möglich, bzw. sinnvoll, dargestellt werden kann. Das ist natürlich Unsinn. Es sind genaugenommen die Verfahren und die Organisationen (die sowenig aus Ihren Mitgliedern und Programmen bestehen, wie sie mit diesen sterben müssen), die uns den Eindruck von Stabilität im Wandel der Gegebenheiten bieten und politische Variationsmöglichkeiten im Zaume halten lassen. Meiner Ansicht nach folgen wir einem Irrtum , wenn wir es zulassen, dass politische Arbeit als personale, parteiliche oder programmatische Einheit verkauft werden kann.
Parteien nehmen so einen Irrtum als Angebot natürlich gern an (ja, leben heute geradezu davon), sich parteipolitisch jeweils als ideologische Einheit symbolisch gerieren zu dürfen. Denn dann können sie ihren Machterhalt mit "Marketingmitteln" wenigstens einigermaßen beeinflussen. Differenzierte Sachlichkeit ist viel zu spaltend um z.B. mit einem ganzen Parteiprogramm aus echten sachlichen Festlegungen eine nennenswerte Zielgruppe als zuverlässige Wähler einer Partei zu finde und auch zu halten. Wären Wähler grossflächig sachorientiert (hier orientiert an konkreten Gesetzesvorhaben), dann würde schnell auffallen, dass es eine sogenannte Kontrollillusion ist, das es Parteien gibt, die sachliche Differenzen moralisch-ideologisch überbrücken und als harmonische Einheit repräsentieren können. Differenzierte Sachlichkeit sprengt sozusagen die Idee von Parteipolitik, von Parteien, die alles unter einen Hut bekommen. Sie sprengt letztlich sogar die Idee der Möglichkeit von kohärenten Parteiprogrammen, die Stammwähler binden und pflegen können. Interessant wird dann immer das nächste konkrete Gesetzesvorhaben und Bündnisse drumherum, nicht die einzelnen Parteien. Aber ein Publikum, dass sich mit Allgemeinplätzen zufrieden gibt, das kann man als Partei eben billig bewerben und auch über parteipolitischen Spielraum gut bevormunden. Ihr eigenes Dasein als soziale Kontrollillusion darzustellen, das kommt Parteien natürlich erstmal nicht in den Sinn. Schon weil offensichtlich erstmal intellektuell verdaut werden muss, dass sie damit natürlich nicht ihre Überflüssigkeit als Organisation ausrufen. Aber natürlich auch, weil Parteien sich so weit partizipierend und unterstützend aus ihrer Nische heraus öffnen müssten, dass das für traditionelle Parteisoldaten wie eine Aufgabe der Parteisouveränität, wie ein Verlust der Grenzen von als klassische Partei erscheinen müsste (was es ja im Prinzip auch ist). Aber die Frage bleibt, ob es in Zukunft, mit den zu erwartenden Technologien und den Erwartungen der Leute anders geht als über die traditionellen Maße hinaus an einer "Partizipationsgesellschaft" zu arbeiten.
Offensichtlich scheint mir in dem Zusammenhang auch: Dass die ausufernde quasi inszentuöse Parteipolitik, die bei uns mehr oder weniger offen praktiziert wird, den Nachwuchs von kompetentem und variationsfreudigem politischen Personal nicht zulässt, und stattdessen bannertreue Parteisoldaten produziert, die im eigenen Saft schmoren und sich so ideologisch abgrenzen. Das wirkt natürlich zunehmend bizarr und verkrapft, und ich denke es ist kein Zufall, dass ein parteipolitisch sozialisierter Nachwuchs uns zunehmend wie Autoverkäufer oder Vereinspräsidenten erscheinen. Verkäufer, die mit ihrem Masterplan (Parteiprogramm) eher eine Gemeinde ausrufen, als sachlich Grenzen zu ziehen (also Dissenz zu verantworten und kollektiv bindend begründen zu müssen). Statt dessen scheint man den im Sinne des Machterhalts besser kontrollierbaren Weg über das Proklamieren von moralisch und emotional integrierten, aber eben sachlich bis zur Unkenntlichkeit generalisierten "Wählergemeinden" zu gehen. Macht scheint für die Parteien zu einem ideologischen Erhaltungsproblem geworden zu sein, das quasi marketingstrategisch zu bewältigen ist, um so möglichst nach Parteigusto (natürlich für das Gute) die Bürger vor sich selbst zu schützen.
Dass Politiker einen Marketingweg als leichteren und eben anschlussfähigeren Weg annehmen können, da habe ich noch ein gewisses Verständnis. Weniger nachvollziehen kann ich (und es erschreckt mich entsprechend) wie gut auch üble (quasi rechtsstaatsdemontierende) ideologische Reduktionen auf dem Niveau von Bauernregeln beim Publikum ankommen. Und das trotz der Tatsache, dass wir als Gesellschaft schon allein technologisch im Alltag längst vor Problemen stehen, die garkeine Rücksicht auf moralische oder ideologische Einstellungen nehmen, sondern allerhöchstens sachlich irgendwie gebändigt werden können. Und ob die parteipolitisch ausgerichtete Politik von heute, die uns da etwas sehr seltsames als Sachlichkeit verkauft, ob die nun bestmöglich Allgemeinnützig ist, daran habe ich - wie ihr merkt - hier und da meine Zweifel.
Angefangen habe ich den Post hier, weil ich immer mehr den Eindruck bekomme, dass es unglaublich fitte, schlaue und fancy Leute gibt, die richtig was auf dem Kasten haben.... Und regiert werden wir aus einem Pool von Personen, die das direkt oder indikret schon seit gefühlten tausend Jahren machen, und/oder beängstigend wenig auf dem Kasten haben.
Wie ich ja oben schon andeutete ist das auf dem Niveau unseres Rechtstaates wohl noch überlebbar (ich meine vor allem die krasse Selbstselektion des politischen Personals).
Aber ich mache mir eben sorgen, dass unsere Institutionen, z.B. die Ministerien und deren Stäbe auch irgendwann an ihre Grenzen kommen, den jeweiligen parteipolitisch indoktrinierten Amtsinhaber ... sagen wir mal sachlich so zu coachen, dass sinnvolle Entscheidungen getroffen werden können, bzw. die richtigen Themen zur Diskussion gebracht werden. (Beitrag auch hier)