Die Ausgangsthese ist: Wenn Politiker nur noch Gesetzte vorschlagen dürfen, die dann aber nicht von ihnen selbst, sondern vom Souverän entschieden werden, dann ändert sich eine politisch sehr grundlegende Konstellation zwischen Bürgern auf der einen Seite und Prominenten aus Politik und Medien auf der anderen Seite. Rollenzuschreibungen als vermittelnde Attributionsleistungen zwischen diesen beiden Seiten werden sich ändern. Und mit solchen Änderung wird sich verändern was der Bürger von medial vermittelter politische Kommunikation erwartet und vor welchen Rollenzuschreibungen er solche Erwarteungen aufbaut. Der Bürger wird dann den Berater wählen und nicht den sich entschuldigenden, nachträglich kommentierenden stellvertretenden Entscheider.
Stand der Dinge ist: Wir haben uns daran gewöhnt uns stimmungsvoll und unterhaltsam die Welt als Tatort voführen zu lassen, um uns danach gemütlich zur Sonntagabendtalkshow politisch zu echoffieren. Wenn man alle vier Jahre mal die ein oder andere Partei wählt und nichts zu entscheiden hat, dann liegt es nahe die Schuld/Verantwortung für Fehlentscheidungen bei politischen Entscheidungen bei anderen zu suchen und auch zu finden. In einer solchen Stellvertreterdemokratie nimmt es also nicht Wunder, dass Politiker allerlei esoterische Interpretationstänze um Wahlergebnisse veranstalten, um damit Legitimation für ihre Entscheidungen zu signalisieren. Wenn Konsequenzen von Entscheidungen von den Bürgern dann offensichtlich nicht gewollt sind, dann kann sich ein Politiker damit beschäftigen die Schuld/Verantwortung dafür auf andere Politiker oder auf die Medien zu schieben, die ihrerseits dasselbe machen können. Es geht so auf jeden Fall schnell um Schuldzuweisungen und damit verbunden dumpfen Plattitüden; selbst wenn Redner im gleichen Atemzug von Sachlichkeit sprechen. Sachlichkeit gerät in ein Gerangel aus Schuld-, bzw. Ursachenzuschreibungen und es geht dann nicht mehr um funktionale Argumentation, es geht dann nicht um aktuelle Konstellationen von Funktionssystemen und zukunftsgerichtete (also ungewisse) Entscheidungen, sondern es geht dann um Ursacheanalysen, die auf die Aufbereitung von interpretierter Vergangenheit ausgelegt sind. Was damit gemeint ist sieht man in jeder Talkshow in Deutschland. Wenn aber die Bürger selber entscheiden müssen und Politiker Entscheidungen "nur" vorgeben, aber nicht selber über diese entscheiden können, dann wäre ein solches Verhalten sinnlos, wenn nicht kontraproduktiv. Es wäre für Politiker wenig sinnvoll dann bei Entscheidungen, die nicht in ihrem Sinne ausfallen, die Entscheider, also die Bürger in einer Weise zu beschimpfen und mit Plattitüden zu überhäufen, wie die politische Klasse das bisher so unter sich macht (wenn sie noch gewählt werden wollen). Die Form einer Stellvertreterdemokratie und damit verbunden eine "politische Klasse", die die Auswahl von Entscheidungen und das Entscheiden dieser Entscheidungen selbst übernimmt, provoziert in einem Mehrparteiensystem nachvollziehbarerweise das was wir Parteipolitik und Parteisoldaten nennen. Und in der Umwelt eines solchen Stellvertreterparteiensystems entsteht, wenn es nur bedrohlich genug wird und die reine Empörung vor dem Fernseher nicht mehr beruhigt, Verdrossenheit.
Es ist für meine Begriffe geboten den politischen Entscheidungsprozess zu entzerren, auseinanderzuziehen, bzw. zu verteilen. Welchen Sinn soll es haben, dass Politiker auf der einen Seite eine Entscheidung vorschlagen und auf der anderen Seite dann entscheiden, ausser dass man für den Bürger undurchschaubare Verwicklungen zwischen und innerhalb der Parteien (also unnötige Intransparenz) erzeugt? Wenn man aber politische Entscheidungsprozesse auf Politik und Bürger verteilt, dann ändern sich Konstellationen von Zuschreibungsverhältnissen und damit verbunden auch beobachtete Rollen, bzw. Erwartungen.
Was ich damit im wesentlichen meine: Wenn man als Bürger selber entscheidet, dann ist die Verantwortung für politische Entscheidungen mit nicht gewollten Konsequenzen nicht mehr einfach wegdeligierbar. Natürlich gibt es dieses BLÖD-Zeitungsargument, also dass bestimmte Meinungsmacher die Bevölkerung per "Meinungsmacht" in bestimmte, eigentlich nicht von der Bevölkerung gewollte Richtungen bringen können. Das Argument ist aber nicht zu Ende gedacht und das ist genau der entscheidende Punkt (der die Lernfähigkeit einer Gesellschaft betrifft). Wie oft könnte z.B. eine Zeitung ihre "Meinungsmacht" gegen die Interessen der Bürger einsetzen? In einer Stellvertreterdemokratie und ihren "Pontuis-Pilatusschleifen" kann eine Zeitung mit entsprechend "Meinungsmacht" das sehr ausgibig und ungestört tun, weil Verantwortung für Entscheidungen immer zwischen Medien und innerhalb der "politischen Klasse" beliebig(!) hin und hergereicht werden können, bzw. wahlweise in Schuld verwandelt wird. Der Bürger empfindet sich alle vier Jahre als Wähler (von Parteien) und eben nicht als Entscheider (von Gesetzen) und wird auch als solcher angesprochen, bzw. fühlt sich angesprochen. In einer direkten Demokratie muss sich der Bürger als Entscheider sehen und wird auch als solcher angesprochen. Das macht einen grossen Unterschied.
In einer direkten Demokratie hat die Verantwortung der Souverän und gerade mächtige Meinungsmacher in Politiker und Medien müssen auf einmal sehr vorsichtig sein wie, bzw. zu welchen Zwecken sie diese "Meinungsmacht" einsetzen (wenn sie Käufer und Wähler bewahren wollen). Vor allem: Der Bürger müsste sich ganz andere Fragen stellen. Nämlich, von wem wurde ich wie beraten und wen habe ich wie beraten? und nicht mehr wer hat für mich entschieden oder für wen habe ich entschieden?
Ein oder zwei Mal lässt man sich vielleich gegen seine eigenen Interessen per "Meinungsmacht" übers Ohr hauen, dann ist aber aller Erfahrung nach mit Lernprozessen zu rechnen. Politiker und Medien können sich nicht mehr als Entscheider gerieren, denen man dann, wahlweise neben den Medien, die Schuld/Verantwortung für falsche politische Entscheidungen geben kann, die wiederum diese Schuld/Verantwortung dann zwischen Pontius und Pilatus in Schall und Rauch auflösen. Im Zweifelsfall werden zwar einzelene Personen ausgetauscht, aber der Entscheidungshintergrund ändert sich nicht. Das würde man sich als Bürger, der mit seiner Entscheidung (nicht mit seiner Stimme) Verantwortung (nicht nur Bürde) für seine Entscheidung tragen muss, wohl nicht sehr lange angucken.
Das endlose Kommentieren von vergangenen Entscheidungen hätte auf einmal quasi keinen Sinn mehr. Stattdessen würden Politiker gut daran tun den Bürger auf zukünftige Entscheidungen hin zu beraten. Der Druck auf Politiker und Medien würde ganz anders werden. Politiker und Medien könnten weniger machen was sie wollen, schon weil sie ihre falschen Entscheidungen (die ja immer vorkommen) nicht mehr einfach irgendjemandem in die Schuhe schieben können, bzw aussitzen können (zumindest nicht ohne potenzielle Wähler in der Bevölkerung zu verlieren). Die vermutete Folge wäre: Politik würde vom Bürger eine den Souverän beratende Funktion zugewiesen bekommen und auf diese Beratungsleistung hin würde diese Politik sehr genau beobachtet werden. Politiker würden nicht mehr als stellvertretende Entscheider, bzw. als Verkünder von Entscheidungen beobachtet, denen man alle vier Jahre mit einem Stimmzettel entgegentreten kann, um so ein Kreuz zu setzen, das der Partei die Stimme zukommen lässt, die am glaubwürdigsten für etwas Verantwortung übernehmen will, das sie garnicht verantworten kann (z.B. einen Stellvertretungsanspruch).
Dass eine direkte Demokratie in diesem Sinne politische Diskussionen sachlicher, weniger rhetorisch, mehr erklärend und mehr Funktions-, bzw. Argumentorientiert führt und Gesprächspartner unterschiedlicher Meinung stärker und respektvoll aufeinander eingehen, das kann man gut am Beispiel der Schweiz beobachten. (Als Beispiel dafür, gerade wenn man kritisch gegenüber dem konkreten Thema ist, dann sollte man sich folgende schweizer Talkshow mal ansehen (YouTube-Link ). Man beachte aber bitte mehr WIE dort offensichtlich eine Diskussionskultur am Werke ist, als WAS dort diskutiert wird. Man muss das nur mal mit deutschen Talkshows zum selben Thema vergleichen). Wenn der Souverän sein eigenes Schicksal selber entscheidet, dann erwartet er verständlicherweise Plausibilität in der Darstellung und muss sich nicht mehr mit Rechtfertigungsritualen und den damit verbundenen Pontius-Pilatus-Soaps zufrieden geben. Sondern der Bürger wird danach Wählen welche Partei ihn im Bezug auf relevante politische Entscheidungen, die er eben selber treffen muss, beraten hat. Er wird nicht mehr danach wählen welche Partei sich am besten dafür Rechtfertigt, dass sie ihren Ansprüchen nicht gerecht geworden ist. Am wichtigsten finde ich aber, dass eine so zentrale Weiche, wie die Direktheit einer Demokratie das wichtigste Mittel ist "Meinungsmacher" zu disziplinieren, bzw. ihnen eine neue (weniger korrumpierbare) Funktion zuzuweisen. Ausserdem wird viel klarer und handhabbarer, dass es um nur Verantwortung und nicht um Schuld geht, schon immer ging. Das würde aber alles vernichten, wofür tapfere Parteisoldaten jahrzehntelang ihr Gehirn verstümmelt haben. Innerhalb der Parteien wird sich viel viel mehr verändern müssen als ausserhalb.