Recht wird heute in der Gesellschaft als positives Recht verstanden, also als ein von Menschen gesetztes Recht und nicht mehr als ein durch die Natur oder Gott vorgegebenes Recht aufgefasst. Selbst Esoteriker und krass religiöse Positionen mussten letztlich einsehen, dass hinter Regierungen/Führungsstrukturen/Gesetzgebung kein Gott und auch nicht sein Stellvertreter steht (Mit Ausnahme vielleicht der katholischen Kirche oder sehr fatalistische Gruppen). Und ich denke weil dem so ist, sind Juristen in der Folge, zumindest diejenigen, die sich dessen gewahr wurden etwas zurückhaltender mit ihren Ansprüchen an die Setzung, bzw. Beeinflussung vorhandenen Rechts im Sinne einzelner Gruppierungen geworden. Jursiten wie z.B. Georg Jellinek (den ich hier einführe, weil ich ihn später nochmal zitieren möchte) kommen deshalb auf grundsätzliche Schlussfolgerungen, die formulieren, dass "das Recht „nichts anderes als das ethische Minimum“" sein sollte.
"Das Recht wird also, als das erhaltende Moment, das Minimum der Normen eines bestimmten Gesellschaftszustandes bilden, d. h. diejenigen Normen umfassen, welche die unveränderte Existenz eines solchen sichern.“ ( Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, 2. Aufl., Berlin 1908, S. 45 - aus: Wikipedia )
Man kann sich vorstellen, wie sozusagen in einer Zeit des vorpositivistischen Rechts (http://de.wikipedia.org/wiki/Naturrecht) die Könige und alle die, die sich mehr oder weniger gefühlt durch Gott gesandt oder später allgemein als Verkünder von Wahrheiten verstanden haben, eine Selbstverständlichkeit darin sahen ihre Position als naturgegeben (quasi als alternativlos) auszulegen und mit dem entsprechendem Selbstbewusstsein als kollektiv bindende Entscheidung zu manifestieren. Wenn man Luhmann folgt, dann geht das heute schon deswegen nicht mehr, weil schon das noch als Naturrecht gedachte und gesetzte Recht sozusagen auf der Seite der natürlichen und juristischen Personen direkt Kontingenzerfahrungen provoziert und bei entsprechender Differenzierung der Gesellschaft seine Plausibilität als gottgegeben, naturnotwenidig, letztlich als alternativlos verliert.
Wenn man Recht so beobachtet, also Naturrecht und Positives Recht unterscheidet und feststellt, dass Positives Recht, als menschgesetztes Recht sozusagen unausweichlich ist, dann sind Formulierungen wie die von Jellinek, die ein gewisses Verantwortungsbewusstsein ins Spiel bringen rechtsgeschichtlich wohl sehr bedeutsam.
Vor diesem Hintergrund lässt sich wohl auch die durch Jellinek ins Spiel gebrachte Rede von der "normativen Kraft des Faktischen" verstehen. Wenn Recht von Menschen gesetzt, also kontingent (und damit risikobehaftet) ist, dann muss man sich überlegen in welchem Rahmen, bzw. mit welcher Legitimation Regeln im Einzelfall bestraft werden sollten um Recht durchzusetzen, wenn es Regeln sind, die an der Wirklichkeit der Menschen vorbeigehen, bzw. keiner sich wirklich danach verhält. Was von einer grossen Mehrheit der Menschen nicht getragen wird, lässt sich 1. entweder ignorieren, 2. man kann versuchen jeden einzelnen mit der Staatsgewalt zu konfrontieren (was wohl leicht überfordern könnte) 3. man pickt sich einzelne heraus und Köpft sie in Schauprozessen, um Exempel zu statuieren und die Menschen quasi durch Angst auf Linie zu bringen oder 4. Man kommt auf die Idee, dass 1.,2. u. 3. nicht recht zu einem demokratisch verfassten Staat passen und schlägt für diesen Staat einen Rechtsgrundsatz vor, der den Einzelnen vor 1. Verlust der Rechtsgeltung (Glaubwürdigkeit) allgemein, 2. vor allgemein überbordernder Staatgewalt und 3. vor willkürlicher Staatsgewalt schützt und schlägt vor "Die normative Kraft des Faktischen" als Rechtsgrundsatz zu verankern. (Auch vielleicht aus dem Grund das Exempel natürlich auch politisch gegen missliebige Konkurrenten eingesetzt werden können und das in einem demokratisch verfassten Staat evtl nicht erwünscht ist. Es wäre ja u.U. also auch ein Instrument, im Bedarfsfall bei einer ungeliebten Person mal genauer hinzusehen)
In Diskussionen, die das Thema Urheberrecht behandeln, insbesondere in denen die auf der (relativ langweiligen Ebene) von Musikpiraterie diskutieren, wundert es mich schon, dass man hier nicht wenigstens ansatzweise mal den Ruf nach "Der normativen Kraft des Faktischen " hört. Aber vor allem auch in vielen anderen Rechtsbereichen wäre die Einbeziehung eines solchen sozusagen rechtsphilosophischen Grundsatzes vermutlich von Vorteil. Bisher sehe ich im Falle des Urheberrechts nur indirekte, aber keine grundsätzlichen Argumente zum Schutz der Benutzer vor den Rechteinhaber, bzw. der Staatsgewalt. Z.B gibt es relativierende Vorschläge, die die private Nutzung von rechtlich geschützen Material entkriminalisieren. Nicht das ich z.B. eine solche Regelung unsinnig finde, mich stört nur die quasi nicht vorhandene Herleitung einer solchen Forderung. Für meine Begriffe ist es aber ein wichtiger Bestandteil zukünftigen Urheberrechts, dass es zunächst Anlehnungen an die normative Kraft des Faktischen als grundlegenden Schutz der Bürger für sich ausformuliert. Es geht für den Bürger (und für einen demokratischen Staat) nicht darum hier und da ein paar kleine Ausnahmen freizugeben, gönnerhaft ignoriert zu werden, oder einzelne Auslegungen zu relativieren. Sondern es geht letztlich (so wie ich das verstehe) im doppelten Sinne um grundlegende Rechtssicherheit. 1. Der Bürger muss vor dem Recht sicher sein. 2. Das Recht selbst darf seine Rechtsicherheit, bzw. seine Geltung nicht mit a. diffusen Gesetzesflickenteppichen, b. Prinzipielle Verfolgung eines grossen Teils der Bürger, c. unverständlichen/undurchdringlichen Gesetzestexten aufs Spiel setzen.