Samstag, 3. Mai 2014

Jäger, Sammler, Landwirte, Konsumenten und marodierende Gruppen

Eines der ersten wirklich wichtigen Dinge die Jäger, neben einer effektiven Jagdtechnik lernen mussten, dass war wohl die Tatsache, dass die Jägerpopulation und die Beutepopulation sozusagen voneinander abhängen (mindestens solange die Jagd der Nahrungsbeschaffung diente). Wurde ein Revier überjagd, bzw. wurde mehr entnommen als sich in der Umwelt reproduziert, wurde das zu einer lebensbedrohlichen Situation für den Jäger. Er drohte zu verhungern. Dasselbe galt wohl im Prinzip auch für Sammler. Dieses Risiko einzuschränken mag ein Grund gewesen sein als Landwirt schließlich Tiere und Pflanzen zu züchten, um in einer "abgegrenzten Kulturlandschaft" die Entnahme von Nahrung (Tiere/Pflanzen) unter kontrollierbare Bedingungen zu stellen. Man konnte komplett alles entnehmen was pro Saison produziert wurde und hatte sozusagen immernoch die Natur als Notreserve.

Der Landwirt trifft dann irgendwann wiederum auf die Probleme und Risiken der Übernutzung der Umwelt indem er z.B. feststellt dass Böden ausgelaugt werden können und so die Grundlange der Pflanzenproduktion gefährtet werden kann, die wiederum Grundlage der Ernährung für Menschen und Zuchttiere ist. Mit der Drei-Felder-Wirtschaft, also sozusagen mit einer Schonzeit für Böden, und anderen Methoden beginnen dann die Landwirte, wie vor ihnen die Jäger und Sammler, ein Blick für die Hege des Landes zu entwickeln, das bearbeitet wird. Denn mindestens in frühen Zeiten, ohne viel Technologie und Transportmöglichkeiten, muss die Hege im Sinne der Pflege und Erhaltung der Naturgrundlagen für Jagd, Sammeln und Anbau von Pflanzen und Zucht von Tieren ein sehr lebensweltnaher und funktionaler Ethos gewesen sein. In anderen Worten: Kein Respekt vor der Natur, kann für eine Siedlung, die auf ihren lokalen Boden und ihre lokalen Naturgrundlagen auf Gedeih und Verderb angewiesen war schon mittelfristig das Aus bedeutet haben. Aber auch für Nomaden, die ihre größeren Kreise zogen und damit das ihnen zur Verfügung stehende Land vergrösserten (und dabei andere Nachteile eingingen) war der Respekt vor der Natur langfristig von ebensolcher Bedeutung. Lediglich für marodierende Gruppen, die sich rücksichtslos und quasi bewusstlos, die Hege durch Jäger, Sammler und Landwirte zunutze machten und schlicht für den eigenen Bedarf plünderten, war ein bewusster Naturethos sozusagen obsolet, oder nur von indirekter Bedeutung. Wenn man sich auf vulgäre Weise und rücksichtslos einfach nimmt was da ist, dann geht das nur, wenn andere da sind, die die Hege betreiben, bzw. das nicht entnehmen (gegeben eine bestimmte Polulationsgröße). Sonst würde natürlich auch für die marodierenden Gruppen die Lebensgrundlage angegriffen. Solche Gruppen sind letztlich nur als parasitäre Kulturen der hegenden Jäger, Sammler und Landwirte denkbar, nicht für sich alleine. Das, würde ich sagen, gilt prinzipiell bis heute.

Nun, mein Verdacht ist, dass wir heute in einer Gesellschaft leben, die sich soweit von der Natur entfremdet hat, dass Nahrung für sie aus dem Supermarkt kommt, so wie Strom und Wasser aus der Leitung. Wir sind großflächig zu relativ vulgären Konsumenten geworden, die jeden funktionalen Bezug zu einem Naturethos verloren haben. Respekt vor der Natur kennen viele nur noch als schögeistige "Indianerphilosophie" und/oder als einen ästhetisches Impetus. Ein drohendes schieres Verhungern ist kein Scenario mehr, dass heute realistisch erscheint und - ironischerweise - wird ein Scenario der Drohung durch Mangel auch als Rechtfertigungsgrund herangezogen für eine Übernutzung. Da beisst sich natürlich die Katze in den Schwanz.

Durch Industrie, Technologie und internationale Landnutzung usw. ist es möglich geworden, dass wir mit Eintritt in die Epoche der Überflussproduktion scheinbar das Risiko einer Apokalypse durch Übernutzung abgeschafft haben. Es geht bei uns nur noch um den Grad des Luxus, nicht mehr um das Überleben selbst. In dieser Situation sind wir schon lange und man könnte denken, dass wir in der Folge sozusagen kulturell verrohen, wenn man so will kulturelle Vulgärformen ausbilden, die ähnlich den marodierenden Gruppen vor 3000 Jahren einfach nur blind entnehmen. Die Frage ist ob wir uns das dauerhaft leisten können, oder ob nicht das Risiko der Überwirtschaftung nicht abgeschafft, sondern nur verschoben wurde und das an eine Stelle an der es nicht mehr so gut sichtbar, aber dennoch vielleicht sogar umso gefährlicher und bedrohlicher ist. Man sehe sich nur an: Die Folgen von Bodeerosionen in großen Gebieten der Weltdurch die exzessive und industrielle Nutzung mit Ihren Auswirkungen auf Flora, Fauna und damit dem Klima; Die vollkommen unabsehbaren Folgen der eingesetzten Biotechnologie, insbesondere der Gentechnologie auf Umwelt und letztlich auf uns menschliche Organismen; Die unabsehbaren Folgen der Überfischung der Meere auf das Ökosystem Meer und immer wieder: letztlich auf uns. Die Konsequenzen des riesigen Energiebedarfs der Technologie, respektive Atomkraftwerke und ihre Unfälle und andere nicht-regenerative Energieerzeugung wie z.B. Kohlekraftwerke und die Luftverschmutzung durch sie; Die riesigen Mengen an Müll und Schadstoffen, die wir unauffällig irgendwo verklappen oder auch direkt in unsere Produkte integrieren (siehe hormonähnlich wirkende Schadstoffe und andere Gifte in den Produkten, die uns täglich umgeben). Das alles sind sozusagen akkumulierte Folgen des vulgären Konsums, in dessen Schatten wir zu Wohlfühlethikern geworden sind, die die langfristige und bitter lebensnotwendige Funktion und Rationalität eines Naturethos aus dem Auge verloren haben, nämlich die Nachhaltigkeit. Wir kleben das Wort "Bio" auf organische, also auf von Haus aus "biologische" Lebensmittel und meinen damit, dass sie relativ frei sein mögen von Schadstoffen und Giften. Wir lassen und erzählen, dass mehr Produkte kaufen umweltfreundlich ist, weil sie vermeindlich neuer und besser sind.
Aber letztlich lassen wir uns durch den Luxus verführen die Konsequenzen des heutigen Wirtschaftens und der damit verbundenen institutionalisierten Ideologie des immer-Weiter-wachsens auszublenden, bzw. in andere Bereiche der Welt zu verschieben, also zu externalisieren dahin wo wir sie nicht direkt sehen. Und wenn wir sie sehen, dann in einer Distanz die es uns ermöglicht kurzweilig und quasi zur Unterhaltung unsere Empörung an einer "Sonntag-Abend-Dokumentation" oder einer Talkshow abzureagieren, um am nächsten Tag wieder in den Supermarkt zu gehen und dort zu "auf Distanz zu marodieren".

Die internationale Industrie, im Gegensatz zu Jägern, Sammlern und Landwirten hat nie eine direkte Beziehung zur Natur gehabt. Von vorherein hat sie, wie die marodierenden Gruppen aufgesetzt auf Strukturen von Jägern, Sammlern und Landwirten und eine direkte Verantwortung in Bezug auf die Natur nie entwicklen müssen. So viel es geht, in so wenig Zeit wie möglich und das Limit ist das was die Jäger, Sammler und Landwirte hergeben, nicht was die Umwelt "unbeschadet" und nachhaltig hergibt. Und diese ausbeuterische, bzw, rücksichtslose Mentalität des Zugriffs wurde durch monetäre Anreize bis heute immer weiter zunehmend weitergegeben an die Strukturen, die letztlich die direkten Verantwortungsträger sind oder vielmehr sein müssten, nämlich Jäger, Sammler und heute natürlich zumeist Landwirte und kleine Handwerker und Produzenten.
Die Ideologie, dass uns nicht die Natur ernährt, sondern die durch die Industrie zur Verfügung gestellten Arbeitsplätze tut das ihre, um dieses Unterwerfen unter die Rücksichtslosigkeit des Zugriffs auf Natur an der Oberfläche zu rechtfertigen.

Die gesellschaftlich bestimmenden Strukturen sind heute entsprechend nicht mehr Jäger, Sammler und Landwirte, sondern die marodierende Industrie, die Ihre naturethosfreie Ideologie zum allgemeinen Stadard hat werden lassen. Auch wenn wir heute an dem Punkt sind, an dem die Industrie für jeden sichtbar Ihre eigenen Grundlagen zerstört, siehe z.B. Überfischung der Meere, um nur ein Beispiel zu nennen, so scheint sie in Ihren Präferenzen in Bezug auf pekuniäre Strukturen derart dominant geleitet, dass sie tatsächlich - wie ein Krebsgeschwür - das System, das sie ermöglicht letztlich zerstört. Es ist ihr offensichtlch aus eigener Kraft nicht möglich - selbst im Angesicht des Abgrundes - ihre eigenen Strukturen auf Hege und Pflege umzustellen, um so Nachhaltigkeit sicherzustellen. Das ist in gewisser Weise auch nicht verwunderlich, denn das würde eine großflächige Selbstdekonstruktion bedeuten. Und damit ist ganz sicher nicht zurechnen. Denn aus der Perspektive der Industrie geht es natürlich um ein "immer mehr".

Die Industrie in ihrer heutigen Form ist im vorgetragenen Sinne eine Kultur der marodierenden Gruppen, die sich durch die zur Verfügungstellung von Luxus und durch gleichzeitige Externalisierung und Verschleiern der Folgen dieses Luxus bei uns eingeschmeichelt hat ... und uns dabei letztlich in ihrem ideologischen Würgegriff zu einem Lebens in vulgärem Konsum verleitet hat ... genauergesagt: Wir haben uns verleiten lassen, dazu nämlich in Supermärkten zu marodieren und die Industrie sozusagen für uns in Stellvertretung in der Welt marodieren zu lassen. So können wir uns weiter als Wohlfühlethiker gerieren, von Indianerphilosophie schwärmen, bei ein paar Saltstangen uns von Talkshows unterhalten lassen und dabei das hilflose Opfer spielen, das der bösen Industrie so hilflos ausgeliefert ist.

Beitrag für Stockfischer.de