Über Musik zu sprechen, bzw. zu schreiben ist wie Architektur zu tanzen. Nichts desto trotz werde ich es kurz versuchen, denn ein Aspekt - für mich der meist spaßmachende -, die Improvisation, flasht mich jedesmal wieder so sehr, dass ich mich dabei schon mehrfach genötigt sah ein paar Zeilen dazu zu schreiben warum Musizieren Kommunikation ist. Musik im Sinne gemeinsamer Improvisation weisst in der Tat ein entscheidendes Merkmal von Kommunikation auf. Nämlich das beidem zugrundeliegende Phänomen doppelter Kontingenz . Und ohne das detailiert und erschöpfend hier beschreiben zu können, werde ich einfach ein paar Sätze dazu schreiben, um - wie immer hier - für mich selbst ein paar Inhalte in eine Reihe zu bekommen.
Es gibt also diese Form des Musik machens, in der man mit einem oder mehr Partnern improvisiert. Man einigt sich - bzw. es ergibt sich schlicht „im Flow“ - ein Takt, die Geschwindigkeit und eine (oder mehrere) Tonarten. Das sind zunächst Rahmenbedingungen, die ein gewisses Gebiet abgrenzen. Es werden dabei keine konkreten Inhalte vorgegeben, sondern man einigt sich sozusagen auf ein paar Parameter als Medium (z.B. Takt, Geschwindigkeit, Tonart) , in welches dann Formen eingezeichnet werden können.
In diesem abgegrenzten Bereich, kann man dann mit etwas geschickt gemeinsam spielen, ohne das beide oder auch nur einer der Beteiligten wissen muss was der andere, oder auch nur was er selbst gerade spielt, bzw. gleich spielen wird. Man kann sich während des Spielens überraschen lassen ohne dabei „ins Leere“, bzw. ins zu arg dissonante und kakophone zu fallen. Man spielt einen Ton und hört gleichzeitig hin was der andere (die anderen) gerade als Kontext geben und lässt sich sozusagen in Echtzeit in eine Melodie treiben …. die ggf noch nie ein Mensch zuvor gesehen …. :)
So entstehen Melodien und Akkord pattern, die keiner so geplant hat, die aber im besten Fall so klingen, als ob sie vorher schon bekannt waren und absichtlich so gespielt wurden. Das ist eine der schönsten Erfahrungen beim Musik machen, wenn man so zusammen spielt und ergebnisoffen und sensibel für neue Ideen gemeinsam in eine Art „Flow“ gerät.
Platt gesagt ist es wie gemeinsam Spielkonsole spielen. Das Spiel, bzw. die Spiellandschaft sind in diesem Bild quasi die genannten Parameter Takt, Geschwindigkeit, Tonart. Und in dieser Landschaft läuft man gemeinsam rum und fängt an Punkte/Melodien zu sammeln. Wie in einer Art tonalem Steinbruch buddelt man und buddelt man, bis man auf etwas vielversprechendes Stößt, dass man dann vorsichtig freizulegen versucht. Etwas interessanter liegt aber der Vergleich zum Konzept der - jeder Kommunikation zugrundeliegenden - doppelten Kontingenz, weil man die Beschreibung des Phänomens doppelter Kontingenz in Kommunikationssituationen quasi direkt über die Erfahrungen beim improvisierenden Musizieren legen kann. Lasst einfach mal die folgende Beschreibung des Phänomnes doppelter Kontingenz für Kommunikation auf Euch wirken und versucht zu verstehen, warum Musizieren in diesem Sinne ebenso Kommunikation „ist“.
„[Doppelte Kontingenz wird wirksam] [. . .]sobald ein Sinn erlebendes psychisches System gegeben ist. Es begleitet unfokussiert alles Erleben, bis es auf eine andere Person oder ein soziales System trifft, dem freie Wahl zugeschrieben wird. Dann wird es als Problem der Verhaltensabstimmung aktuell. Den Aktualisierungsanlaß bieten konkrete, wirkliche psychische oder soziale Systeme oder Spuren (z. B. Schrift), die solche Systeme hinterlassen haben.“(Luhmann, N. (1987) Soziale Systeme, S. 151)
Wenn also zwei Bewusstseinssysteme in einer Situation gegenseitiger Beobachtung kontingent handeln, also jedes auch anders handeln kann und jedes dies von sich selbst und dem anderen weiß und in Rechnung stellt, dann verdoppelt sich die Kontingenz und es ist „[. . .] zunächst unwahrscheinlich, dass eigenes Handeln überhaupt Anknüpfungspunkte (und damit: Sinngebung) im Handeln anderer findet.“(a.a.O.: S. 165)
Man kann das als eine einfache Grundsituation sehen, in der diese beiden Systeme, die für einander jeweils eine Black Box sind, aus irgendwelchen Gründen etwas miteinender zu tun bekommen. Jedes einzelne Bewusstseinssystem bestimmt sein eigenes Verhalten immer durch komplexe, selbstreferentielle Operationen innerhalb seiner eigenen Grenzen, und das was von ihm außerhalb seiner Grenzen sichtbar wird, ist deswegen notwendig die Reduktion eines anderen Beobachters (vgl. vgl. a.a.O.: S. 156).
„Deshalb bleiben die Black Boxes bei aller Bemühung und bei allem Zeitaufwand [auf der Ebene der eigenen Systemoperationen] [. . .] füreinander undurchsichtig.“(a.a.O.)
Luhmann sagt dazu weiter: „Zugleich mit der Unwahrscheinlichkeit sozialer Ordnung erklärt dieses Konzept aber auch die Normalität sozialer Ordnung; denn unter dieser Bedingung doppelter Kontingenz wird jede Selbstfestlegung, wie immer zufällig entstanden und wie immer kalkuliert, Informations- und Anschlusswert für anderes Handeln gewinnen. Gerade weil ein System geschlossen-selbstreferentiell gebildet wird, also A durch B bestimmt wird und B durch A, wird jeder Zufall, jeder Anstoß, jeder Irrtum produktiv.“(a.a.O.: S. 165)
So kann man sich konkret vorstellen, dass sich zwei Unbekannte zunächst wechselseitig z. B. auf Situationsdefinition, sozialen Status oder Intentionen usw. hinweisen (vgl. a.a.O.: S. 184).
Damit beginnt dann „[. . .] eine Systemgeschichte, die das Kontingenzproblem mitnimmt und rekonstruiert. Mehr und mehr geht es daraufhin dann im System um eine Auseinandersetzung mit einer selbstgeschaffenen Realität: um Umgang mit Fakten und Erwartungen, an deren Erzeugung man selbst beteiligt war und die sowohl mehr, als auch weniger Verhaltensspielraum festlegen als der unbestimmte Anfang.“(a.a.O.:, S. 184)
Anders formuliert, die Mannigfaltigkeit von möglichen Mitteilungen wird durch Kommunikationssysteme in eine Sequenz von aufeinander wirkenden Kommunikationen gebracht, die sich an bestimmten Erwartungen und Themen orientieren und dadurch im Verlauf ihrer Geschichte sehr unwahrscheinliches Verhalten der beteiligten Bewusstseinssysteme wahrscheinlich und erwartbar machen können.
Ich kann mich glücklich schätzen einen Freund zu haben, mit dem ich hier und da in genau diesem Sinne musikalisch kommunizieren kann. Letztlich war diese letzte Session der Grund mal diesen flüchtigen Versuch hier zu wagen "Architektur zu tanzen" :) Aber Schluß mit der Theorie: hier kann man uns sozusagen live beim kommunizieren zuhören :) https://soundcloud.com/sessiondiaries/session