In den 80er Jahren wäre das alles anders abgelaufen. Denn die krassen Erregungswellen, die sich im Netz akkumulieren und wie ein epileptischer Anfall die Kommunikation in einer moralischen Zuspitzung auf ein alles akut dominierendes Entweder-Oder verkrampfen, waren technisch nicht möglich.
Nachdem heute wirklich vom Kleinkind bis zum Boomer 5-8 Stunden Bildschirmzeit über Jahre durch das zum Quasi-Körperteil gewordene Handy nichts Ungewöhnliches sind, hat das die Kommunikation und damit die Gesellschaft auf ganz andere Füße gestellt. Menschen verbringen mit ihrem Handy und in Interaktionen mit Algorithmen sehr viel mehr Zeit als im Kontakt mit Menschen (und sei es übers Handy). Und das sind Algorithmen, die Einfluss möchten.
Heute sind nicht Bücher/Medieninhalte für Menschen verfügbar, sondern Menschen sind für Medieninhalte verfügbar, an die sie ausgespielt werden. Medieninhalte, die mächtig emotional involvieren können. Dazu kommt ein Vernetzungsgrad unter den Menschen, der absurd hoch ist, und die Tatsache, dass Menschen eben über lange Zeit ihre Sozialität auf Plattformen stattfinden lassen und darin geübt sind, sich in der Hauptsache darüber gegenseitig zu beobachten. Was - wenn man so will - eine Kultur des moralisch auf Oberflächlichkeiten fokussierenden Virtue-Signallings nahelegt.
Und ich glaube, da sind wir gerade. Erregungszunamis schaukeln sich auf. Moralische Kommunikation erklärt sachliche Differenziertheit zur Terrorismusunterstützung und verlangt Einheit oder droht mit Exklusion. Im Freund-Feind-Schema stören dann auch aus moralischen Gründen Menschenrechte bei der Feindbekämpfung.
Im Moment sehe ich nicht, wie die quasi durch die Technologie und ihre vollständig durchdringende Nutzung provozierte emotionale oder kognitive Überforderung der Gesellschaft in Konfrontation mit dem globalen Schmerz irgendwie sinnvoll durch die Gesellschaft wieder eingefangen werden kann.