Montag, 28. September 2009

Der Preis der Arbeit

Zunächst sei vorweggeschoben: es wird unterstellt, das es nicht den "richtigen" Preis gibt. Es wird vielmehr klassisch davon ausgegangen, das Preise sich in einem fundamentalen Sinne dynamisch aus einem Verhältnis aus Angebot und Nachfrage, also aus einem Verhältnis von Knappheit und Zugriff ergeben. Nehmen wir mal kurz an, das gilt für alle Produkte (man kann natürlich feststellen, das es noch andere, wenn man so will sekundäre Verhältnisse gibt, die auf den Preis für Produkte einwirken. Deutlich wird das besonders, wenn wir uns das "Produkt Arbeitsleistung" durch diese Brille ansehen; und dieses Spiel wollen wir im folgenden ein bischn spielen).

Wenn man Arbeit als ein Produkt bezeichnet auf das Unternehmen zugreifen können, um selber Produkte herstellen zu können, dann wird der Unterschied den das Produkt Arbeit im Vergleich zu anderen Produkte macht besonders deutlich. Es wird hier die klassisch gewordene (für mich entsprechend folkloristisch anmutende) Unterschiedung von Arbeitgeber/Arbeitnehmer unterlaufen. In dem Sinne nämlich, das jeder Erwerbsfähiger ein Produkt, nämlich bestimmte Diestleistungen (quasi erwartbares Verhalten) erstellen und anbieten kann. Und jede Organsation kann auf diese Dienstleistung zugreifen, indem ein bestimmter Tausch (meistens Geld gegen erwartbares Verhalten) vereinbart wird.
Auf dieser Ebene kann man dann sehen, das unsere Gesellschaft (die sich eine bestimmte Unterscheidung von Gesellschaft/Natur zu eigenen gemacht hat), Menschen, die "nur" ihre Arbeitsleistung anbieten können in eine stark asymmetrische Beziehung zu den Organisationen, den Nachfragern auf dem Arbeitsmarkt setzt. Das Problem, das ich hier meine, versuche ich folgend mit einer kommentierten Anekdote deutlich zu machen. Leider weiß ich nicht mehr wo ich die folgende Geschichte gelesen habe. Die Geschichte geht aber in etwa so: Die Engländer kamen an den Viktoriasee (der damals natürlich noch nicht so hieß) und stellten fest, das man die Fischgründe dort gut komerziell "abernten kann". Im laufe der Zeit, um ein Gefühl der Heimat wiederzugewinnen, setzten dort arbeitende fischende  englische Arbeiter eine Barschart in das Gewässer. Das Problem dabei: die ausgesetzten Barsche machten sich derart heftig über die lokale Fischbrut her, das sich nach kurzer Zeit die Bestände der einheimischen Fische so stark verkleinerten, das es nur noch mit großen Schiffen lohnte rauszufahren. Die Poiente: Die Einheimische Bevölkerung, die sich bis dahin in quasi paradisischer Weise, mit einfachen Mitteln direkt aus dem See (aus ihrer Umwelt) ernährte bekam daraufhin entsprechende Exitenzprobleme. Der Effekt war, das nun die ansässige Fischindustrie in grosser Zahl billige Arbeitskraft angeboten bekam; nämlich von der einheimischen Bevölkerung, die nicht mehr mit eigenen Mitteln ihre Existenz sicherstellen konnte. Die Folge war natürlich eine weitere Überfischung des Sees, was die Bindung der einheimischen Bevölkerung an die ansässige Industrie umso weiter verstärkte.

Wenn man dieser Logik folgt, dann kann man sich vorstellen, das Städte, die eine gewisse Bevölkerungdichte und einen gewissen Organisationsgrad erreicht haben ein ähnlich gelagertes Problem der Knappheit erzeugen. Entwickelte Städte können den Zugriff auf die Natur - so oder so - nicht vollends für den jeweiligen Eigenbedarf der Bürger freigeben, sofern eine Vernichtung wichtiger Resourcen für alle droht. In unserer Gesellschaft ist es dementsprechend schlicht verboten sich Tiere oder Pflanzen für das eigene Überleben aus der Umgebung zu holen. Insofern übernimmt bei uns das Gesetz, eine ähnliche Funktion wie die Verknappung des Fischbestandes für die Einheimischen am Viktoriasee. Eigentlich müssen wir klassischer Erwerbsarbeit nachgehen, um überhaupt überleben zu können, um die Produkte kaufen zu können von und mit denen wir Leben können. Wir sind keine Selbstversorger.

An dieser nur kurz kommentierten Anekdote vom Viktoriasee sollte verständlich werden worauf ich hinaus möchte.
Es gibt allerdings Menschen (z.B. H.O.H.) die unverhohlen sagen: Das Defizit der Arbeiter, sozusagen der ständige Kampf des Arbeiters ums Überleben, sei notwendig die entsprechende Motivation zu schaffen, damit "die Wirtschaft" mit ausreichend Arbeitskraft versorgt wird. Kurz: Existenznot als notwendiges "Motivationsmittel". Der Kontext des genannten "Henkel-Arguments" ist die Nachtudiosendungvom 20.05.2007 in der G.W. sein Konzept eines Grundeinkommens vorstellt. Und das von H.O.H. vorgebrachte Argument sollte entsprechend ein Argument gegen ein Grundeinkommen sein. Ein solches Argument wirkt auf mich mindestens seltsam. Es steckt für mich irgendwie ein vulgäres Weltbild dahinter. Es scheint mir nicht evident, das Existenznot ein besonders guter Motivator für die Arbeit in komplexen Wirschaftssystemen ist. (vgl. SWR2Impuls Beitrag vom 23.09.2009 über Stress und lernen . Oder auch "über den Umgang mit Stress" (SWR2Leben)). Es scheint mir nicht einmal evident, das die Motive, Essen, wohnen, heizen in irgendeiner Weise die Gewaltigkeit unseres Wirtschaftsystems aufklären.

Wie soll aber eine Gesellschaft mit dem Problem umgehen, das aus nachvollziehbaren Gründen der Rückgriff auf Natur im städtischen Bereich unterbunden bleiben muss, das also kein einzelner mehr sich direkt aus der Natur ernähren kann, das aber der einzelne nicht in eine Situation gerät, in der er vorhandenen Organisationen mit ungleichen Mitteln ausgeliefert ist?

Nun kurz zurück zu meinem einführenden Argument der Preisbildung. Rationalisierungen und Spezialisierungen in den Organisations- bzw. Produktionprozessen führen nun einmal dazu, das Wertschöpfung mit immer weniger menschlicher Arbeitskraft zu erreichen ist. Das schafft natürlich auf dem Arbeitsmarkt eine Überschusssituation und die Preise für Arbeit fallen. Und es scheint so zu sein, das der Fall der Preise für Arbeit nicht so ohne weiteres Aufzuhalten ist. Zumindest von der Wirtschaft ist nicht zu erwarten, das sie sich gegen ihre eigenen Regeln verhält.

Insofern könnte man die aktuelle Antwort unserer Gesellschaft, nämlich diese Art von lohnsubventionierende Pseudogrundsicherung eher als eine in gewisserweise "Bismarksche Notwenigkeit" verstehen; wenn man es nicht besser wüsste. Denn mit einer Absicherung des Staates hat eine Idee von Wohlfahrt wenig zu tun, als mit der Idee einer komplexen Wirtschaft. Das muss man verstehen, denke ich. Eine Grundsicherung ist auch kein Almosen für Bedürftige (obleich man es mit der Brille eines Sonderschülers so sehen kann. Als solches wird es ja häufig auch verkauft). Was mich besonders an der Almosensemantik stört, will ich mal so ausdrücken: Ähnlich wie der Staat durch sein Gewaltmonopol seinen Bürgern den Rückgriff auf Gewalt versagt, und im Gegenzug rechtliche Komplexität ermöglicht, so versagt der Staat seinen Bürgern den direkten Zugriff auf die Natur und ermöglicht dadurch wirtschaftliche Komplexität über die Verbürgung von Eigentumsverhältnissen in der Gesellschaft. Und so wie der Staat, wenn er über ein gewissen Grad an Komplexität der Gesellschaft hinaus will, immer Selbstüberwindungsmöglichkeiten, Selbstkorrekturmöglichkeiten in sein Recht (die andere Seite der physischen Gewalt) eingebaut haben muss (z.B. ziviler Ungehorsam, oder, die, durch freie Wahlen entscheidbare Differenz von Regierung/Opposition, usw.), so kann der Staat (und sollte es auch) dem Staatbürger gegenüber dem Wirtschaftssystem, eine gewisse Autonomie gewähren. Und das nicht mit einem karitativen Impetus, sondern mit dem Argument, das es eben nicht Wirtschaft zerstören wird (wie sollte das gehen?), sondern das es eine Situatioen erzeugen kann in der Organisationen (respektive soziale Systeme) Formen der Selbstkorrektur in Richtung auf eine pfiffigere Aufmerksamkeitsbindung entwickeln müssen; um "Menschen" zu motivieren, das diese ihre Aufmerksamkeit zur Verfügung stellen. Ich denke man müsste sogar weiter die Frage Stellen ob man nicht von einer "totalitären" Form von Wirtschaft sprechen muss (die wichtige Entwicklungsmöglichkeiten ausblendet), wenn Organisationen rechtlich in die Lage versetzt werden die Existenzbedürfnisse der Menschen, gegen diese ausspielen zu können. Und die Behinderungen die totalitäre, bzw. ideologische politische Systeme mit sich bringen kennen wir alle.

Ohne einen gewissen Schutz gegen die "Bedürfnisasymmetrie" zwischen Menschen und sozialen Systemen, die Organisationen immer wieder in die Situation versetzt, die Existenzbedürfnisse der Menschen, gegen (auch wirtschaftlich) wichtige Entwicklungsbedürfnisse der Menschen auszuspielen, ohne eine gewisse Existenzsicherung für "Menschen" also, verzichtet man auf bestimmte Möglichkeiten einer strengeren, auf den "Menschen" fokussierenden Wirtschaft der Gesellschaft. Es geht also nicht um Almosen! Es geht um Notwendigkeiten, wenn bestimmte gesellschaftliche Entwicklungsniveaus erhalten, bzw. ausgebaut werden sollen. Es geht darum zumindest zu berücksichtigen, das die Befrieidgung der Existenzbedürfnisse nicht das Ende, sondern der Anfang einer komplexen Wirtschaft sein könnte. Wohlfahrt ist keine Spende einer Regierung. Sie kann wirtschaftspolitisches Kalkül eines demokratischen Staates sein. Der Wohlfahrtsstaat ist nicht grosszügig und er ist auch nicht geizig; er ist ein politisches Kalkül. Oder etwas anders formuliert: Wohlfahrt ist der Preis des Staates, den er zahlt, um den Menschen eine Wirtschaft zu ermöglichen, die es wiederum den Menschen ansinnig werden lässt den Staat als solchen zu erhalten.

Arbeit ist eben kein Produkt wie jedes andere. Arbeit liegt nicht nur jedem Produkt zu grunde (auch Finanzprodukten); sie liegt auch jeder Organisation zugrunde. Und Organisationen kann man unterscheiden von Arbeit und auch von Menschen!

Die Frage aber bleibt (jetzt umso mehr): wie weit kann, bzw. muss sich eine Gesellschaft Exklusionseffekte ihrer Wirtschaft leisten, oder, wie weit sollte sie es sich leisten ihre wirtschaftlichen Strukturen von den Existenznöten der einzelnen abhängig zu machen? (sprich: Miete, Heizung, Nahrung, Krankenversicherung)
Die Antwort der Gegenwart kann man wohl eher als ein System der Lohnsubvention bezeichnen. Wenn nicht genug verdient wird, dann wird aufgestockt. Bedingung ist aber das man formal als Nachfrager weiter am Markt der klassischen Erwerbstätigkeit bleibt. Unter diesen Bedingungen wird sich der Preis der Arbeit wohl tendenziell eher weiter nach unten entwickeln. Denn das Angebot an Arbeitskraft bleibt unverändert (bzw. steigt, z.B. mit einer Erhöhung des Renteneintrittsalters), während Rationalisierung, Technisierung und Spezialisierung (davon gehen wir hier einfach aus) die Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft generell weiter verkleinern werden. Neben der Tatsache, das seltene Kompetenzen, also knappe Arbeitskraft gut bezahlt wird, werden wir uns weiter darüber wundern können, das ausgerechnet "ungeliebte" Arbeit fortwährend schlecht bezahlt wird.

Ein konsequenter konstruiertes System einer Existenzsicherung könnte demgegenüber einen interessanten Effekt haben. Organisationen müssten den Menschen umso mehr bezahlen, je unbeliebter eine Arbeit wäre, und natürlich auch (wie bisher), je schwerer eine bestimmte Kompetenz zu finden ist. Mit anderen Worten: Die, die bisher nur rhetorisch zu Leistungsträgern erchoren werden, würden evtl. auch finanziell als Leistungsträger respektiert werden müssen.