Mittwoch, 8. März 2017

Ein paar lose Gedanken zu Vertrauen und Medienepochen

Vertrauen im Vorschuß, das uns ermöglicht Erwartungen zu behandeln, bzw. zu testen und so für weitere Erwartungen Unsicherheit zu absorbieren.

So erschließt Vertrauen Möglichkeiten zu lernen. Im Vorschußvertrauen, in das Ungewisse hinein werden Risiken eingehbar. Man legt es auf Erwartungsenttäuschung an und kann aus den Erfahrungen lernen.

So kann man gesellschaftlich beobachten: Das Kultivieren von Erwartungen und deren Tests in Bezug auf einen Gewinn an Orientierungsmöglichkeiten variiert mit den bekannten Medienepochen der Gesellschaft. Dabei geht es um Vertrauensgrundlagen in gewisse kulturelle Praktiken, die mit dem dominierenden Medium in der Gesellschaft variieren (Baecker, D. (2015) Designvertrauen).

Mündlichkeit - Magie - Stämme - Stammesgesellschaft
Schrift - Götter - Schichten - Hochkultur
Buchdruck - Technik - Funktionssysteme - Moderne
Elektronische Medien - Design - Netzwerke - Nächste Gesellschaft

Je mehr die Sozialdimension von Sinn berücksichtigt wird, desto mehr fällt auf, dass präskriptiv ansetzende Erwartungen zu kurz greifen. Der Gestaltungsspielraum wird quasi negiert.

Die Magie lässt sozusagen wahrheitsindifferent einen Schamanen Knochen werfen (Divination) und macht damit zufällige Ereignisse durch die Autorität des Schamanen sozial wirksam. Test und Prüfung von Auslegugnen waren Sache des Schamanen. Widerspruch stellte sofort die Autorität des Schamanen in Frage zu stellen.

Die Hochkulturen generalisieren die Autorität des Schamanen und tauschen die Person Schamane gegen eine Idee Götter/Gott. Der Bezug auf eine Idee macht die Funktion des Schamanen sozusagen personenunabhängig. Die größere Reichweite der Schrift macht das letztlich nötig. Der Schamane kann nicht mehr überall vor Ort sein, wo die Autorität seiner Magie gebraucht wird. Das unterminiert seine Autorität, die sich letztlich aus dem von ihm angebotenen Vorteil „soziale Mobilisierbarkeit“ speist. Die Autorität der Magie verliert mit der Verbreitung von Schriften ihre Deckung in Erfüllung ihrer vornehmlichen gesellschaftlichen Funktion. Und die Verbreiter der Schriften, also die Kirchen gewinnen an sozialer Wirksamkeit. Die Verbreitung von Schriften, die sich nun auf eine Idee/Götter beziehen, ermöglicht es über die mündliche Reichweite hinaus eine Gesellschaft zu strukturieren. Und das tut die Kirche damals auch. Sie nutzt die Schrift, um zunächst mal den Bedarf für eine Organisation der Kirche zu provozieren: Sie schickt Bekehrer mit „der Schrift“ in die Welt. Und mit dem Erfolg dieser Bekehrer muss die Kirche dann mit einer von einzelnen Personen abstrahierenden Organisation reagieren. Und kann das auch, weil sie eben Schrift benutzt und nicht mehr auf die soziale/sachliche/zeitliche Enge der Mündlichkeit angewiesen ist.

Letztlich bleibt Ihre Grundlage, also „die Schrif der Schriftent“, aber unwesentlich wahrheitsindifferenter als die Knochen der Schamanen. Nichts desto trotz, bieten die differenzierteren Einschränkungen, die die Bibel vorlegt mehr spezifische und auch mehr Allgemeine Einschränkungen als die Knochen des Schamanen. Vo allem sind sie über die Personen, bzw. Zeiten rettbar. „Die Schrift“ bietet in Bezug auf zeitliche, sachliche und soziale Differenzierung sehr viel mehr Möglichkeiten und auch mehr Zuverlässigkeiten für eine Sozialität, die sich darauf einschwört. In diesem Sinne liegt der Zugewinn an Orientierungsmöglichkeiten in einer größen Gesellschaft auf der Hand. Selbst in Bezug auf Prüfung und Test der angebotenen Einschränkungen gibt es mehr Möglichkeiten. Weil nun Idee und Auslegung getrennt sind und nicht mehr in Personalunion vorliegen, kann ohne großen Legitimationsverlust für die Idee die auslegende Person leichter wechseln. Was natürlich über die Zeit zu einer anderen Dynamik von Variation und Stabilisierung bezüglich der Auslegung führt. Die Idee überlebt die Ausleger, und schon deswegen muss es zu einer Variation von Auslegungen kommen. So sicher wie das ist, so verzweifelter musste die jeweilige Inquisition im Zweifel vorgehen, um die Wirksamkeit der Kirche zu bewahren versuchen.

In dem Umfange, in dem durch die Druckerpressen die Massenproduktion von quasi beliebigen Büchern ermöglicht wird, in dem Umfange also in dem die Kirche die Kontrolle über die Schrift und deren Auslegungen verliert, in diesem Umfange verlieren die Götter Ihre beruhigende Funktion für die Gesellschaft, z.B. Normen setzen zu können.Das Vertrauen in entsprechende Vertrauensgrundlagen schwindet. So wie die Person Schamane nicht mehr vor Ort sein konnte, um Ihre Unzulänglichkeiten qua emotonal gebundener Autorität wieder einzufangen, so stößt die Idee der Götter, bzw. auch die Idee des eines Gottes dann auf ihre darstellungsgebundenen Plausibilitätsgrenzen. Grenzen, die es nicht mehr ermöglichen mit dem Sinnüberschuß, mit der Unruhe umzugehen, die letztlich die vielen und völlig verschiedenen Bücher anbieten.

So wie durch die Trennung von Idee und Ausleger, die Idee auf den Ausleger zurückgeworfen wird, so entsteht ein Druck auf den Ausleger. Die Welterklärungsfahigkeiten und damit Orientierungsmöglichkeiten der Idee von dem einen Gott ist begrenzt. Mit dem Wechsel der Ausleger und der damit verbundenen Variation der Kirche lernt der Mensch auf eine spezielle Weise mit „Der einen Idee, die alles verbindet“ umzugehen. Er lernt sich selbst zu verändern, in Abhängigkeit von einer sozialen Autorität. Er entdeckt sich als Individuum.

Die alte Lösung der Normen wird versucht und verliert auch nicht ganz ihre Bedeutung, allerdings verlieren Normen ihre orientierende Bedeutung im Hinblick auf die Unübrschaubarkeit und das Überraschungspotenzial mit dem eine Massenproduktion von quasi beliebigen Büchern konfrontiert. Auf die „Unruhe“, die so in der Umwelt des Beobachters entsteht braucht dieser flexiblere Institutionen (Erwartungserwartungserwartungen), um Vertrauens in die Bewältigung von Störungen weiter zu gewährleisten. Er muss sich selbst in gewisser Weise unruhig fassen und reagiert entsprechend auf die Unruhe, die in seiner Umwelt durch den Buchdruck auftaucht. (vgl. Baecker, D. (2007) Studien zur nächsten Gesellschaft, S. 35). Platt gesagt: Ein Bezug auf Normen der psychischen Systeme hält nicht genügend soziale Änderungs- und Anpassungskapazität vor, wie es die sozialen Systeme mit Verbreitung des Buchdrucks aber fordern. Die Gedankliche Figur des „»Cogito, ergo sum«: Was immer dir widerfährt, Angenehmes und Unangenehmes, beziehe es auf dich und sei dir darüber im Klaren, dass es dich im Moment zu dem macht, wer und was du bist, ohne dabei auszuschließen, dass dir gleich anschließend wieder etwas widerfährt, für das dasselbe gilt. “ (Baecker, D. (2007) Studien zur nächsten Gesellschaft, S. 16), diese Figur gibt, wenn man so will, genügend Spielraum, um das Gutenberguniversum sozusagen kulturell zu bearbeiten; und sich nicht von den Widersprüchlichkeiten blockieren zu lassen, sondern auf seine individuellen Plausibilitätsprüfungen zu vertrauen (Was ist Aufklärung?).

Konfrontiert mit den elektronischen Medien haben wir nun eine Kulturgeschichte des Vertrauens in unterschiedliche Kulturtechniken im Rucksack. Mit der nochmal gesteigerten Verbreitungsmöglichkeit von Inhalten und entsprechend der Zumutung ist quasi abzusehen, dass alle Kommunikation letztlich auch irgendwie computervermittelt läuft (Und sei es das die Geräte nur mithören, um auf Zuruf funktionieren zu können). Mehr oder weniger alle Kommunikation läuft auch über Computer. Wenn man - wie man das in der Soziologie allgemein machen kann - Gesellschaft quasi mit Kommunikation gleichsetzt (z.B. Luhmann), dann wird klar, dass die krux wohl nicht in der einfach noch weiter gesteigerten Verbreitungsmöglichkeit von Kopien liegt, sondern im Umgang mit den anderen, die man vorher nicht kannte und vielleicht auch nicht kennen wollte. Wie erkennt man den Klospruch? Wo erwartet man ihn? Wo findet man ihn? Was macht er in der Situation? Wie reagiert man darauf? Die besondere Herausforderung scheint mir in Zukunft auf jeden Fall einen Umgang zu finden, der die neuen „Zumutungen“ in der Sozialdimension von Sinn für die Gesellschaft nutzbar machen kann. Vielleicht werden wir in Richtung des Begriffes „Ubuntu“ fündig (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Ubuntu_(Philosophie) ). - wie Peter Kruse, Dirk Baecker und viele andere das ja auf die ein oder andere Weise andeuten.