Samstag, 9. Februar 2019

Behauptungsspiele

Als an Sprache interessierter Beobachter kann man vieles beobachten. Natürlich kann man nicht alles beobachten und schon garnicht gleichzeitig. Das gilt für die Beobachtung von Sprache und auch für die, die dabei beobachtet werden wie sie Sprache verwenden.

Deshalb ist es, ob einer bemühten Nachvollziehbarkeit, quasi ein Imperativ die Selektionen, die man anspricht möglichst prägnant anzudeuten. Eine anschließende Argumentation setzt sinnvollerweise an solchen Hinweisen an. Zumindest wenn man nicht argumentiert, um den anderen als Person zu “überwältigen”, sondern z.B. aus einem verzweifeltem Interesse an etwas Drittem heraus (z.B. einem Thema). In solch einer Situation stellt man sich und seine Argumente zur Disposition. Man korrigiert seine Argumente zwar nicht widerstandslos, meistens zumindest nicht. Weil man natürlich gute Gründe hat, im Einzelfall vielleicht auch schon viel abgewogen hat und es kognitiv auch ein erheblicher Aufwand ist Argumentationen zu wechseln (je nachdem wo “im Kartenhaus” Teile ausgetauscht werden sollen. Es sind immer viele Bereiche betroffen).

Wenn das Interesse an den eigenen Thesen, mit denen man so durch die Welt läuft, im Vordergrund steht, dann gibt es keine Verlierer. Der, der Gründe findet seine Position zu korrigieren, der hat in dieser Perspektive etwas gewonnen. Der andere hat zwar nichts verloren, aber eben auch nicht gewonnen (immer in Hinblick auf das Verbessern der eigenen Beobachtungsmöglichkeiten). Das gilt wie gesagt zumindest, wenn man Argumentation nicht als Ringkampf gegen andere begreift, der als Sequenz mit Annahme oder Ablehnung als Sequenz endet, sondern als eine Art dauernden kollaborativen, computativen Prozess, des Aneinanderhaltens von Argumenten über viele Personen hinweg.

Nun gibt es aus der Sicht eines beobachtenden kognitiven Systems, wie wir es nunmal sind, nur sehr wenige Dinge, denen man sich einigermaßen sicher sein kann. Z.B.:
  • Wir werden alle sterben.
  • Nach uns kommen andere, die auch sterben werden.
  • Als Einzellebewesen haben wir also bestenfalls diese ca 80 Jahre.
  • “Erkenntnis ist anders als die Umwelt, wei die Umwelt keine Unterscheidungen enthält, sondern einfach ist.” (Luhmann)
Ich möchte hier mal nur am letzten dieser Punkte ansetzen, der Wahrheit nicht mehr als Übereinstimmung des Gedachten oder Sprachlichen mit dem Universum betrachtet. Es geht nicht mehr um Übereinstimmung. Erkenntnis ist anders als das Erkannte. Nicht beliebig anderes, aber eben qualitativ anders. Unser Erleben ist nicht nur selektiv perspektivisch, sondern auch genuin konstruktiv. Bspw. gibt es da draussen keine Farben, trotzdem ist es sehr nützlich, dass wir in nichtbeliebiger Weise Farben unterscheiden können. In diesem Sinne wird Wahrheit, aber nun nicht mehr als etwas fassbares verstanden. Farben sind im klassischen Sinne der Übereinstimmung nicht wahr. Natürlich ist Wahrheitssuche deswegen nicht obsolet. Offensichtlich können Religion und Wissenschaft, als Wahrheit erarbeitende Systeme - quasi als Gralshüter gewisser sich als nützlich erwiesener Methoden - hilfreich sein und sind selbst divers und ständig im Wandel. Beide Systeme haben aber nicht zufällig auch ihre Traditionen in Demut. Vgl. Z.B. Bildnisverbot und Falsifikationsprinzip.

Grob zusammengefasst kann man sagen: als beobachtende Systeme können wir uns gewahr werden, dass unser Erleben unsere Qualia von unserer inneren Organisation abhängt und nicht durch den irritierenden Agens ins System gebracht wird. Ja, dass Gott, bzw. Die Welt prinzipiell unerreichbar sind. Das ist als Grundsituation aber nicht das Ende von Religion oder Wissenschaft, sondern wenn dann eher ihr Anfang.

Es gibt offensichtlich verschiedene nichtbeliebige Zusammenhänge zwischen unserem Erleben und irritierenden Agens. Z.B. erleben wir Schall (-Frequenzen) nicht als: “Oh, da bewegt sich Luft hin und her.”, sondern als: “Ooohhhh, ein Klang” und nichtbeliebige Frequenzveränderungen und Interferenzen erzeugen bei uns das Erleben von akustischer Konsonanz oder Dissonanz. Und: Natürlich, auch wenn es ausserhalb unserer Köpfe keinen Klang gibt, sondern sich dort Luft hin und her bewegt, so ist es sehr nützlich Klänge und Geräusche in Korrespondenz zu Luftdruckveränderungen an den entsprechenden sensorischen Oberflächen zu konstruieren. Wenn wir miteinander sprechen, dann erleben wir auf der Grundlage, dass wir die Luft zwischen uns unterschiedlich hin und her bewegen sogar mehr als Klänge und Geräusche. Wir assoziieren Bedeutungen. Im Prinzip trommeln wir uns auf Distanz gegenseitig auf unseren Trommelfellen. Und wenn wir eine gemeinsame oder ähnliche Geschichte der Trommelei mit anderen haben, dann können wir mehr oder weniger gut so tun als ob wir wüssten, was der andere meint. Auch bis zu dem Umfange, in dem durch Trommelei kein Widerspruch diesbezüglich gefunden werden kann und somit auch kein Verdacht aufkommt.

Wie auch immer, mein Punkt hier ist ja, oder sollte vielmehr werden: Wir können uns zumindest einer Sache sehr sicher sein, dass wir uns nicht sicher sein können. Und sicher scheint auch: Unsicherheiten zu beobachten, abzuwegen und zu berücksichtigen kann wiederum gewisse andere Sicherheiten wahrscheinlicher machen, um den Preis, dass anderes unsicherer wird.

Als wo wir auch stehen und sehen: Es erscheint sinnvoll sich auf Unsicherheiten einzulassen und auch mal bis zum Beweis des Gegenteils so zu tun, als ob Kontrolle keine gut gemachte Illusion sei. Denn viele Prozesse sind selbst sensibel und wenn wir auch in einem turbulenten Verhältnis zu ihnen stehen, unser tun macht einen Unterschied, der einen Unterschied …

Wenn man kurz überlegt: besteht auch garkeine andere Möglichkeit, als aus Fehlern, bzw. aus daraus resultierenden Problemen zu lernen. Problemfreiheit kann so auch selbst zum Problem werden, weil man in dem Moment blind ist für Fehler wird, die noch keine Probleme erzeugen.

Wenn wir “die Wahrheit in der Tasche” hätten, wir würden es nicht merken können pointierte Karl Popper einmal (vgl. Falsifikationsprinzip). Man kann hinzufügen: In diesem Sinne, sind wir auch blind gegenüber Fehlern in Prozessen, die noch keine Probleme vorstellbar machen.

Trotzdem bleibt quasi nur mit Kontrollillusionen zu experimentieren und dabei irgendwie Wege zu finden sich gegenseitig und systematisch weiter zu bringen.

Vor diesem ganzen Hintergrund, den ich hier natürlich nichtmal im Ansatz seriös beschreiben kann, kann man die lediglich rhetorische Figur der festellenden “Behauptung” natürlich nur noch amüsiert oder genervt zur Kenntnis nehmen.

Gerade auf Twitter sieht man auch unter denen, die sich als intellektuell oder akademisch oder beides darstellen, oftmals einen ausgeprägten Habitus der Form feststellende Behauptungen als Ansagen durchzureichen. Dies und das “ist” so. Diese und Jene “sind”. Oft werden einem solche Ansagen ohne jeden Hinweis, ohne jede Andeutung auf die Selektivität, auf die Perspektivität, oder auf die zugrundeliegenden Wenn-Dann Vorstellungen präsentiert. Auf dem Marktplatz, beim Wetterbericht und in manch anderen Situationen kann ein solcher Stil auch nützlich sein. Aber im zwischenmenschlichen und wenn es wirklich darum geht gemeinsam verstehen zu wollen; den Prozess der Kommunikation nicht als Ringkamp, sondern als kollaborativen, computativen Prozess für sich erschließen zu wollen, dann ist ein Behauptungsstil kontraproduktiv. Argumentationen und Behauptungen kann man in gewisser Weise als prinzipiell unkompatibel betrachten.

Jemand könnte sagen: “ok, in der Wissenschaft und übrigens auch in diesem Text hier gibt es doch Hypothesen und Hypothesen sind auch Behauptungen. Das kann man zwar zunächst so sagen, doch muss man dann auf einen entscheidenen Unterschied zwischen Behauptung und Hypothese hinweisen (zumindest wenn man meine Story hier testweise mitgehen möchte): Hypothesen werden bewusst als Kontrollillusion behandelt. Eine Hypothese erscheint so quasi als Gegenteil von einer Aussage die Anspruch auf Zustimmung erhebt aka als eine Behauptung. Insofern bezeichnet sie nicht, den Behauptungsstil, den ich hier anvisiere.

Feststellende Behauptungen, wie man sie alltäglich wahrnehmen kann, sind imho im Prinzip relativ archaische Formen der Autorität und Macht, bei denen es gerade nicht um Wahrheit, sondern um Normierung geht. Macht ist nicht daran interessiert, das was sie umsetzen möchte zur Disposition zu stellen oder nochmal gemeinsam darüber nachzudenken. Natürlich nicht.

Als Rhetorik insinuieren Behauptungen einen direkten Anspruch auf Zustimmung und signalisieren Autorität (im besten Fall, zumindest immer den Anspruch auf Autorität), die sich gerade nicht rechtfertigen möchte, sondern Ansagen macht.

Ich bin mir natürlich bewusst, dass ich mit dem folgenden Vorschlag sozusagen definitorisch die Anzahl der Trolle stark vergrössere, aber was soll’s. So ist es eben. Ich bin geneigt diesen Stil (Behauptungsspiele) als geradezu trolldefinierend zu bezeichnen. Denn wie oben im Text geht es dann nicht um Argumentation, sondern um eine Art Ringkampf. Dann sind Hinweise auf die Verletzlichkeit der eigenen Position das Zeigen von Schwäche. Wissen wird als quasi normativ festehend behandelt und der Disposition entzogen. Der andere kann entweder ja sagen oder er ist auf der falschen Seite.

Aus dem Geflecht menschlicher Angelegenheiten (frei n. H.Arendt) heraus beobachtet stehen uns ultraviele Zuschreibungsmöglichkeiten zur Verfügung. Und als kognitives System haben wir verschiedene Spiele die wir spielen können. Machtspiele im hier angedeuteten Stile scheinen mir da aus der Geschichte heraus heute noch eine viel zu große Rolle im Alltag zu tragen. Ich möchte nicht sagen, dass die ganze Gesellschaft sich jetzt am Ideal einer verzweifelt nach Erkenntis strebeneden Beobachtung orietieren soll oder auch nur könnte. Natürlich gibt es auch heute noch Bereiche, in denen einfacherere “Behauptungsrhetoriken” ihren Platz haben. Z.B. eben wenn es um Rechtssprechung und Normen geht. Aber es gibt andere auch wichtige Spiele, die wir mit Sprache spielen können, und an denen wir auf ganz andere Weise profitieren können.

Es wäre vielleicht schon etwas gewonnen, wenn Menschen sich - sagen wir mal: gegenseitig weniger so behandeln, wie sie es gewohnt sind selbst von Machtstrukturen behandelt zu werden. Die Möglichkeiten dazu sind da.