Umdeutung ist ein beliebter rhetorischer Trick. Man wird mit schwierigen Fragen konfrontiert, für die man keine Antwort hat. Dann ist es bei Vortragenden und beim Publikum besonders beliebt, Schwierigkeiten mit moralischen Defekten zu assoziieren. Also sachliche Probleme in moralische Probleme umzudeuten.
Das polarisiert quasi automatisch auf einen eindeutig erscheinenden Lösungsraum. Differenzierte sachliche Auseinandersetzung ist schwierig, unüberschaubar, voraussetzungsreich und daher nicht sehr wahrscheinlich.
Das Publikum ist gewöhnt daran, durch die Übersimplifizierung moralisch nudgender Medienbeiträge geschmeichelt zu werden, weil diese den falschen Eindruck einer überschaubaren Problemlage erwecken, die gut verstanden wird.
Die Bequemlichkeit, einfache Geschichten zu erzählen, auf der einen Seite und das Geschmeichelt sein durch die Validierung eines übersimplifizierenden Weltbildes auf der anderen Seite bilden einen Zusammenhang, der ... der die öffentliche Meinung im Prinzip verblödet, man muss das so sagen. Oder vielleicht doch besser: der die öffentliche Meinung abbringt von einem sachlichen Verständnis ihrer Umwelt.
In ruhigen Zeiten, wenn alles läuft, wenn Politik und Medien im Prinzip quasi nichts falsch machen können, also keine essentielle Rolle spielen, fällt es im Grunde nicht besonders unangenehm auf, wenn wir uns als Publikum und Vortragende durch "gegenseitiges Eierschaukeln" problematisch weit von den sachlichen Grundlagen unseres Realitätsbezugs verabschieden.
Wenn die Zeiten nun problematischer werden und der Wunsch nach Überschaubarkeit umso größer wird, fängt man oft an, in quasi infantiler Weise moralischer Übersimplifizierung sogar noch zu forcieren, wenn man verdrängt hat und nicht sehen möchte, dass man mit seiner Dummheit das Problem erst mit erzeugt hat.