Donnerstag, 1. Februar 2024

Moralisch-normorientierte Kommunikationen erschweren Positionswechsel erheblich und spalten die Gesellschaft

Wer sich moralisch positioniert, also an Normen orientiert, dem fällt es schwer Fehler einzugestehen und seine Position zu verändern.

Der Grund ist, dass Normen so integriert sind, dass der Anspruch da ist sie trotz Erwartungsenttäuschung (Normverstößen) beizubehalten (im Unterschied zu Kognitionen).

Normen immunisieren sich sozusagen selektiv gegen Wirklichkeitsbezüge, weil man gewisse Erwartungen gegen die Wirklichkeit durchsetzen möchte. Bsp. Es passieren jeden Tag Verbrechen, trotzdem, bzw gerade deswegen wollen wir natürlich die Erwartung aufrecht erhalten, dass soetwas juristische Konsequenzen hat.

Normen erfüllen in dieser Hinsicht die Funktion dauerhafte, kontinuierliche gesellschaftliche Konflikte bearbeitbar zu halten.

Weil Normen offenkundig nur selektiv an Wirklichkeitsbezügen orientiert sind ist entsprechende Kommunikation bevorzugt moralisch ausgerichtet.

Moralische Äusserungen explizieren jedoch im wesentlichen die Unterscheidung Gut/Böse und assoziieren Zustimmungen/Ablehnungen zu bestimmten Themen mit Gut/Böse. So steckt in jeder moralischen Äußerung die Aussage: Wenn Du zustimmst/ablehnst, dann bist Du gut/böse. Und wenn Du böse bist, dann bist Du eine Gefahr für die Gruppe, die deswegen Maßnahmen gegen Dich ergreifen muss (Zum Wohle aller, natürlich).

Wenn man sich nun bei einem Thema moralisch-normorientiert aufgestellt hat, also letztlich sein persönliches Ansehen (und das der anderen) in der Gruppe verknüpft hat mit Zustimmung/Ablehnung zu einem Sachverhalt, der sich in entscheidenden Hinsichten gegen Wirklichkeitsbezüge immunisiert hat, dann sitzt man im gewisser Weise semantisch in der Patsche. Lernfähigkeit, bzw Veränderungsfähigkeit ist bedroht.

Aufgrund abgeschnittener Wirklichkeitsbezüge fallen sachliche Argumentationen schwer und eine Positionsänderung verändert sozusagen gleichzeitig den Hintergrund der Anerkennung, des Ansehens in der Gruppe.

Je mehr man sich in diese moralisch-normorientierte Kommunikationen investiert, desto stärker verstrickt man sich in Positionen, die für diejenigen, die diese Positionen halten sehr klebrig werden. Weil es dabei im wesentlichen darum geht durch Androhung des Entzug von Anerkennung in der Gruppe Zustimnung zu ernötigen, sind sehr schnell sehr viel Emotionen beteiligt, während eine sachliche Ebene gerade nicht maßgeblich gefragt ist. 

Es entstehen Situationen, in denen eine Gruppe sich spaltet und beide Seiten anfangen zum "Schutz" vor den jeweils anderen aufzurufen.

Es entwickeln sich semantische Grabenkämpfe, die eine Spaltung stabilisieren. Das vertieft die Grenzen und die gefühlten Bedrohungsängste auf beiden Seiten und erschwert immer weiter Positionswechsel erheblich.