Samstag, 25. Dezember 2010

Kommentar zu "Warum wir alle spinnen"

Ich habe gerade "Warum wir alle spinnen" auf zeit.de gelesen. Das ist ein schön polarisierendes Interview mit sehr unterhaltsamen Kommentaren. Folgend nun mein ursprünglicher Kommentar mit (ausversehen) 3450 Zeichen. Wahrscheinlich zu Recht zu viel für ein zeit.de-Kommentar.

@zeitonline_wis I like it
@kommentatoren I like it, too.
Der in den Kommentaren hier und da auftauchende Duktus der Gewissheit auf der einen oder anderen Seite irritiert mich, besonder zu so besinnlichen Zeiten. Erstaunlich, wieviele sich immernoch auf der einen oder anderen Seite um einen Gottes-(Übersinnlichkeits-)beweis bemühen, indem sie ihn herbeizitieren und den Versuch starten die ein oder andere Seite als plausibel vorauszusetzen und/oder normativ für gültig befunden wissen zu wollen. ( https://twitter.com/#!/christorpheus/status/951977823440896 , http://twitter.com/#!/christorpheus/status/28032524232 )

These: Davon augegangen, dass wir als Beobachter einem Komplexitätsgefälle unterliegen (d.h. im Prinzip können wir immer nur weniger Zustände annehmen als die Umwelt in der wir uns gerade vorfinden), dann können wir erstmal eine 1zu1-Wahrnehmung unserer Umwelt ausschließen (Dazu gibt es jede Menge Literatur. vgl.z.B. Maturana, Luhman, von Foerster und andere).
Wenn das nun der Fall ist, dann kann man (und das wird ja auch getan) weiter die Frage stellen, wie wir es (trotzdem) jeweils schaffen unsere Zuschreibungen so zu organisieren, das wir nicht nur zwischen Innen/Aussen unterscheiden können, sondern auch noch zwischen Alter/Ego und vorher/nachher.

Wie auch immer, die Konsequenz eines Komplexitätsgefälle ist: Weil wir unterdeterminiert sind laufen wir mit einer Art zwangsläufigen Ungewissheit im System herum (die wir letztlich irgendwie sozial bearbeiten müssen). Beispielsweise können wir in Wolken unterschiedliche Gestalten hineinprojizieren. Im Zweifelsfall sehen wir eine weiße Gestalt vor blauem Hintergrund, aber normalerweise nicht die einzelnen Wassertropfen. Und genauso wie in Wolken, können wir auch in Raufasertapenten und in anderen Zufallsmustern Gestalten erkennen (und hier und da auch sozial kontrollieren). Also: Weil wir unsere Umwelt nicht 1zu1 in Wahrnehmungen auflösen können, deswegen generalisieren wir, und beobachtete “Dinge” bleiben so inhärent ungewiss (bzw. im Duktus der Theorie: kontingent). Es geht in diesem Zusammenhang also um soetwas wie ein “lack of resolution”. http://www.youtube.com/watch?v=Y9KT4M7kiSw

Solch ein “lack of resolution” erzwingt es nun im Zuschreibungsprozess mit Variabeln zu arbeiten, deren Plausibilität (Gefälligkeit) man unterstellen muss (und nicht gleichzeitig mitplausibilisieren kann). D.h. gerade weil wir die Welt nicht so sehen wie sie ist, stehen wir vor immer auch anders möglichen Generalisierungen unserer Wahrnehmung der Welt und können/müssen uns entscheiden wann wir Applaus schenken und wann nicht (und das hat oft etwas mit Verantwortung zu tun).

Für den hier angedeuteten Bereich von “Freiheit durch Generalisierung” mag es nun sinnvoll sein spezifischen kulturell vorgegebenen Gestalten zu folgen, oder eben auch nicht., um die Kontingenzen (die auch anders Denkbarkeit) von gesellschaftlichen Möglichkeiten abzupuffern und in einigermaßen erwartbare Bahnen zu lenken, oder auch nicht.

Interessanter als die Frage Ob oder Ob-nicht Übersinnliches, ist vielleicht die Frage wie mit Ungewissheiten umgegangen wird und welche gesellschaftlichen Konsequenzen die ein oder andere Handhabbarmachung provoziert, wenn man (um nun nochmal in der Sprechweise der von mir zitiereten Theorien zu formulieren:) als beobachtendes System, beobachtende Systeme beobachtet, und dabei hier und da den Versuch unternimmt Ungewissheiten in Gewissheiten zu transformieren.

In diesem Sinne: Guten Rutsch ins neue Jahr und Danke Professor Hood und Max Rauner für ein gefühlt zu kurzes Interview, und Danke für all die Kommentare, die es zu einem unterhaltsamen Weihnachtsgeschenk gemacht haben.