Montag, 31. Oktober 2011

Der Sheriff Effekt

Während meiner Schulzeit hatte ich das Glück eine Hand voll wirklich guter Lehrer gehabt zu haben (Die grammatische Uneleganz "hatte gehabt zu haben" sei hier einer faul formulierten Betonung auf "Glück", als Reminiszenz an meine Schulzeit entschuldigt). Allen ist gemein - quasi konstitutiv für Ihren Status als "guter Lehrer" - , dass sie, im Einzelfall meist nebensächlich, die ein oder anderen Schoten haben fallen lassen. Schoten, die mich auf die ein oder andere eine Weise bis heute interessieren. Hier geht es nun um eine der ersten dieser Art für mich, die ich erstmals (und bisher einzigst) von meiner Biolehrerin in der achten Klasse, der guten Frau Elstner, gehört habe. Das Thema war irgendwie grob: wie Sehen funktioniert und wie die Retina aufgebaut ist.

Hintergrund der Sheriff-Effekt Schote
Wie jeder weiß gibt es auf der Retina zwei Zelltypen. Zapfen und Stäbchen. Diese Sinneszellen sind sozusagen die Grundlage für unsere "Bildauflösung". Die Zapfen sind in der Lage (durch die spezifische Relationierung ihrer Aktivitäten) Farbenerzeugung zu codieren. Allerdings sind sie weniger sensibel für die Unterscheidung hell/dunkel (Nachts sind alle Katzen grau) und (darauf möchte ich mich später beziehen) weniger sensibel für Aktivitätsveränderungen überhaupt, also zwischen An und Aus besteht - wenn man so will - eine grössere zeitliche Verögerung (Latenz) als bei Stäbchen. Farbcodierende Zapfen können also Bewegung nicht so gut auflösen und besitzen insgesamt auch eine geringere Sensibilität für hell/dunkel, während Stäbchen schneller auf Veränderungen reagieren und schon bei viel "leiserem" Licht anspringen.

Nun sind diese beiden Zelltypen nicht gleichmäßig über die Retina verteilt. Im Zentrum der Retina befinden sich mehr Zäpfchen, in der Peripherie sind es mehr Stäbchen. Die Konsequenz für unsere Wahrnehmung: Etwas, das wir direkt ansehen, was also direkt im Zentrum der Retina verrechnet wird ist optimal farbcodiert, allerdings haben wir dort eine relativ geringe zeitliche Auflösung und sehen nicht so gut bei schlechten Beleutungsverhältnissen. Deswegen kann man am Nachthimmel schwache Sterne nur sehen, wenn man leicht neben sie guckt. Ihr Licht fällt dann nicht in der verlängerten optischen Achse direkt in das Zentrum der Retina, sondern leicht versetzt in die Randbereiche, die, wie eben erwähnt, eine höhere Dichte von lichtempfindlicheren Stäbchen aufweisen. Und in diesen Retinabereichen kann unsere Wahrnhemung zum Beispiel also wenig leuchtende Sterne auflösen.

Der Sheriff-Effekt
Die von besagter Biolehrerin damals als "Sheriff-Effekt" vorgestellte Anekdote bezog sich nun darauf, dass der Sheriff, natürlich geübt in Duellen, bei denen es darum ging möglichst schnell auf den Kontrahenten zu reagieren, also dessen Bewegungen zu registrieren, nun einen Trick hatte. Er schaute leicht an seinem Duellpartner vorbei, damit die Gestalt seines Gegenübers in der Peripherie, mit höherer Stäbchendichte verrechnet wurde. Wenn sein Gegner das nicht tat, hatte der Sheriff so einen Vorteil, weil er die Handlungen seines Kontrahenten schneller auflösen konnte, als sein Gegenüber die seinen.

Wir kennen die erhöhte Sensibilität für Bewegungen in den Randbereichen der Retina und die damit verbundende erhöhte "Aufdringlichkeit" in der Wahrnhemung eigentlich eher von einem Reflex auf rasche Bewegungen in den Augenwinkeln unvermittelt auch unseren Kopf entsprechend drehen zu wollen. Es geht mir hier aber nicht direkt um solche Orientierungsreaktion (die es ja auch in akkustischer Form gibt).

Was diese Anekdote für mich bis heute interessant macht, dass ist irgendwie die Vorstellung, das ein Bewusstsein seinen Organismus beobachtet (was auch sonst) und das es gar auf Besonderheiten seines Organismus eingehen kann, um seine Selbstbeobachtungen erst intuitiv und dann gezielt zu nutzen. Ausserdem finde ich heute interessant, dass man sich im Bild der Anekdote gar eine Sheriff/Duell/Intuition/Selbstbeobachtung-Evolution vorstellen kann. Sheriffe denen irgendwie der Vorteil des Leichtvorbeisehens intuitiv zugänglich wäre hätten die besseren Karten, könnten vielleicht in der Evolution ihre Selbstbeobachtungen irgendwann weiter ausbauen, und diesen Effekt sogar in die Sheriffausbildung aufnehmen :) ... Diesen Post hatte ich erst in G+ veröffentlicht. Danke +Alessandro Shobeazzo und +Daniel Glass für die netten und interessanten Kommentare dort.

++ update: 06.04.2016
Hier (http://www.bookmarss.de/karte.php?q=3011) scheint es noch hinweise zu geben, dass der Sheriff-Effekt besonders auf menschliche Bewegungen reagiert.