Dienstag, 4. Oktober 2011

Von Fledermäusen, Bewusstsein und einer Unterscheidung von Bedeutung und Bewertung

Eine scheinbar subbewusste Intuition, die sich (aus welchen Gründe auch immer, ist mir halt nicht bewusst) einem Hangout mit Klaus Kusanowsky verdankt, nehme ich hier zum Anlass eine fünf Jahre alte Skizzen zu posten. Immer wieder dachte ich: Nein, das kannst Du so nicht posten, da fehlt noch das und das und das und das, aber das machst Du dann später und dann postest Du es.... Eigentlich bastele ich auch gerade an einer ganz anderen Idee. Aber wie auch immer. Offensichtlich ist die Zeit für diesen Text gekommen und ich haue ihn jetzt raus. Danke Klaus Kusanowksy für das nette Gespräch.

Dass es Sinn macht zwischen psychischen und sozialen Systemen und dann auch konsequenterweise zwischen Bedeutung und Bewertung zu unterscheiden, das bleibt vielleicht nicht dem Beobachter überlassen. (Ob er das folgende Gedankenspiel mit assoziativem Wohlwollen liest schon)

Stellen wir uns vor, dass Fledermäuse Laute erzeugen, und an der Differenz dieser Laute zum Echo kann eine Fledermaus die Objekte in ihrer Umwelt berechnen. Jeder kennt dieses "Sonar-Prinzip". So kann die Fledermaus natürlich wunderbar auch sich bewegende Objekte ausmachen. Natürlich kann die Fledermaus keine Objekte ausmachen, die sich schneller als der Schall bewegen; Da sind sozusagen die Grenzen des Mediums erreicht in dem eine geflederte Maus Formen rechenbar machen kann.

An diesem "Sonar-Prinzip" der Fledermaus kann man sehr schön deutlich machen, wie Formen der Wahrnehmung (immer) über senso-motorische Differenzschemata (z.B. Schrei/Echo, Augenbewegung/Retinairritation) realisiert, vielmehr errechnet werden. Wahrgenommene Form wird (nicht nur bei Fledermäusen) eben nicht einfach aus sensorischen Reizen extrahiert, sie läuft immer über den Vergleich von jeweils internen, aufeinander bezugnehmenden, sensorischen und motorischen Operationen eines psychischen Systems. In diesem Sinne ist schon der Prozess der Wahrnehmung ein Prozess des laufenden Vergleiches von Operationen; - wie gesagt - Es handelt sich nicht um einen Prozess der Extraktion externer Formen aus einer internen Sensorik. Der laufende Vergleich erzeugt Form.

Natürlich tut die Fledermaus gut daran ihre (durch einen laufenden Vergleich) errechnete Umwelt mit der Umwelt-an-sich selbst zu verwechseln. Fledermäuse können sich in einem hohen Maße mit der "Oberflächenberechnung" ihrer phänomenalen Umwelt zufrieden geben. Fledermäuse stehen wohl nicht in dem Sinne vor einem "Bedeutungsproblem", dass sie - wie wir - die Bewertungen ihrer eigenen phänomenalen Umwelt so weitgehend von anderen Bewusstseinen (wiederum in ihrer phänomenalen Umwelt ) abhängig machen müssen (Die Soziologie spricht bei uns dann in diesem Zusammenhang von der Unterscheidung System-Umweltbeziehungen/Intersystembeziehungen und Interpenetrationsverhältnissen).

(* Wenn es vorrangig um die Orientierung des Organismus in einer physikalischen Umwelt geht (wie z.B. bei der Fledermaus), dann kann man sich wohl eher damit begnügen sein kognitives Potential vornehmlich aus der internen Differenz von System und Umwelt zu speisen. Als kommunizierende und bewertende psychische Systeme sind wir aber strukturell längst davon abhängig, die Bewertung unserer phänomenalen Umwelt über Intersystembeziehungen herzuleiten. Weil wir nun mal angefangen haben mit der Differenz von Information, Mitteilung und Verstehen zu arbeiten. Und den spannenden Blick auf entsprechende Interpenetrationsverhältnisse würde man geradezu verstellen, wenn wir uns als bedeutungsempfangene und bedeutungabgebende Subjekte beschreiben. Nichts von sozialer Bedeutung kann allein in einem einzelnen Bewusstsein entstehen, oder auch ankommen (es könnte keine soziale Resonanz erzeugen))

Könnte man sich nicht vorstellen - um das Beispiel mit den Fledermäusen und dem "Formbildungsprinzip des laufenden Vergleichs von sensorischer und motorischer Aktivität" noch ein bischn weiter zu strapazieren - , dass wir (als einzelnes phänomenales Erleben) unsere Bewertungen in dem Sinne an Kommunikation orientieren, dass wir (wie Fledermäuse) Laute (i.d.F. Worte, Gesten) von uns geben und an der Differenz zu den Worten oder Gesten, die daraufhin als "Echo" wahrgenommen werden, erschließen wir uns dann kontinuierlich eine Realität als "Bewertung-der-eigenen-phänomenalen-Umwelt-im-Kontext-von-Worten-und-Gesten"? Die daraufhin entstehenden Formen (Gedacht aus der Differenz von Gesprochenes/Gehörtes) wären dann keine direkten Formen in der Wahrnehmung, sondern es wären Wahrnehmung überlagernde, assoziierende, Wahrnehmung differenzierende sprachliche Formen.

(* unter der Voraussetzung dass alle höheren kognitiven Funktionen durch die Dilemmata von Kommunikation provoziert wären, könnte man dann endlich weiter fragen: was zum Teufel soll eigentlich individuelle Intelligenz sein?
Wenn selbst der mathematische Beweis seine Form nur auf Kommunikation ausgerichtet, nur als Form in der Kommunikation Bedeutung gewinnen kann, also Bewertungsfähig wird, was soll dann individuelle, einzelne Intelligenz sein? kann es überhaupt Intelligenz in einzelnen Organismen geben? Individuelle Intelligenz an sich wird man wohl vergeblich weitersuchen. Leider gibt es eine reichhaltige psychologische Literatur, die weiterhin einen ähnlichen Irrtum anstachelt. Wobei es eine lange Tradition, nicht erst mit Freud beginnend, gibt, die darauf hinweist, dass "[...] die Individualpsychologie [...] von Anfang an auch gleichzeitig Sozialpsychologie [ist]" (vgl. S. Freud (1967) Massenpsychologie und Ich-Analyse, S.9). Individualpsychologie scheint -gerade heute- eher eine semantische Spitzfindigkeit zu sein.)

Die Fragen vereinfachen vielleicht zu sehr. Andererseits macht es als einzelnes phänomenales Erleben auf Dauer keinen Sinn, die (nur) in kommunikativen Zusammenhängen entstehenden Bedeutungen direkt mit den Selbstorganisationsphänomenen der Wahrnehmung zu verknüpfen (Und so von einem Wahrnehmen von Bedeutung auszugehen). Bedeutungen werden nicht gesehen, gehört, gefühlt oder sonstwie aus der Umwelt geholt. Bedeutungen werden von Bewusstseinssystemen immer in der Form von Bewertungen und immer jeweils, in (wie immer imaginären) kommunikativen Zusammenhängen, be-, bzw. ver- antwortet. Natürlich setzt Kommunikation Wahrnehmung immer vorraus. Aber es scheint dringend erforderlich beides (und damit auch Bedeutung/Bewertung) zu unterscheiden. Und zwar um die heute nötige Sensibilität von Wahrnehmung UND Kommunikation zu erreichen und entsprechend voraussetzungreicher anneinander orientieren zu können.

Wenn man sich einmal klar gemacht hat, dass man mit seiner Wahrnehmung eben nicht "nach da draußen" schaut, sondern im Prinzip "nur" die eigenen Strukturveränderungen beobachtet, dann liegt es auf der Hand, dass das was wir als "Da draußen" wahrnehmen immer schon Produkt des Bewusstseins ist. Ein Produkt das Orientierungsmöglichkeiten erzeugt, in dem Maße in dem das Bewusstsein Änderungen in seiner Umwelt mit eigenen Änderungen parieren kann, die es dann offensichtlich nicht sich selbst zuschreibt. Das Bewusstsein erzeugt in diesem Sinne eine Fremdreferenz, eine phänomenale Umwelt, in die es sein "Subjekt" dann "rausschauen" llässt. Dabei referiert es scheinbar zunächst recht eindimensional auf den Organismus. Das ist aber nur vordergründig der Fall. Die interne Unterscheidung von "Subjekt" und "phänomenale Umwelt" wird nicht -wenn man so will- aus einem Organismus herausprojiziert, ihre Form speist sich aus laufenden Veränderungen des Organismus in Differenz zu dessen Umwelt. Sie ist also kein materielles Phänomen, sie ist eher ein Resonanzphänomen.

Die Eigendynamik des Organismus läuft gegen die Veränderungen, die es an seiner sensorischen Oberfläche als Veränderungen der Umwelt erfährt. Und auf dieser Differenz zwischen Eigendynamik und Irritation bahnt sich eine Unterscheidung von Innen/Aussen den Weg; -wenn man so will- eine Unterscheidung von "Subjekt" und "phänomenaler Umwelt" (die natürlich innen prozessiert wird).

Sobald ein Bewusstsein diese Unterscheidung zwischen "Subjekt" und "phänomenaler Umwelt" auf der Seite seiner phänomenalen Umwelt wiederholt, kann (und muss) es sich dann im weiteren von anderen Bewusstseinssystemen (nicht unbedingt "Subjekten"!) unterscheiden. Das Bewusstsein kann dann nicht nur die phänomenale Umwelt beobachten, sondern zusätzlich auch "Subjekte" in dieser Umwelt davon unterscheiden. (Vergleiche die Unterscheidung System/Umwelt-Beziehungen und Inter-System-Beziehungen im Kapitel Interpenetration "Soziale Systeme" bei Luhmann). Ein Bewusstsein gewinnt dadurch die Möglichkeit Inter-System-Beziehungen zu beobachten.

[Der Organismus ist dann nicht mehr nur eindimensional auf die (meinetwegen linearstatistisch, determininistischen) Irritationen an seinen Sensorflächen angewiesen. Die linearstatistisch einfangbaren Veränderungen der Sensorflächen, evoziert durch die physikalische Umwelt des Systems, können durch die Effekte von Intersystembeziehungen von einem Vektor nichtlinearer Veränderungen überlagert werden. Die daraus entstehenden Interferenzeffekte sind dann sozusagen Veränderungen, die wir entweder der Umwelt oder einem anderen System in dieser Umwelt zuschreiben und damit festlegen, registrieren können. Das System gewinnt assoziative Möglichkeiten, die es ohne die turbulenten Unterscheidungen System/Umwelt-Beziehungen und Inter-System-Beziehungen nicht hätte]

In dem Maße in dem ein Bewusstsein so andere Bewusstseinssysteme in seiner phänomenalen Umwelt zulässt verliert seine phänomenale Umwelt zunächst an Eindeutigkeit, weil plötzlich (eben auch) die phänomenale Umwelt in einem nichtwissbarem Maße in ihrer Bewertung durch Systeme in dieser Umwelt miterzeugt und zur Disposition gestellt werden kann (und wird). Das Bewusstsein muss spätestens mit diesem Schritt beginnen mit konditionalen und negativen Erwartungen zu rechnen. Die eigene Position bedeutet dann immer auch die Negation von anderen möglichen Positionen (und sie muss dabei immer kommunikativ stabil gehalten werden können). Bewusste Positionen, Negationen und Konditionen in diesem Sinne (als Ergebnis von Interpenetrationsverhältnissen) sind dann gerade nicht mehr auf eine positive Erlebniswirklichkeit, also auf Wahrnehmungen eines Bewusstseins zurückzuführen. Sondern es scheint gerade die mehr oder weniger bewusste Distanz zu den jeweiligen Wahrnehmungen in einer jeweiligen phänomenalen Umwelt zu sein, die Kommunikation (und damit - wenn man so will - bedeutsame Bewertungen im Modus des dreistelligen Prozesses Information/Mitteilung/Verstehen zwischen Bewusstseinen) überhaupt erst möglich und soziale und psychische Differenzierung dann aneinander steigerbar macht.

Die Wahrnhemungen eines Bewusstsein sind (aus der Sicht eines Bewusstseins) sozusagen Hinweise auf einen Informationszusammenhang (Auswahlbereich), nicht die Information selbst. Die Wahrnehmung, dass Karl-Heinz auf die Uhr schaut ist nur vermittelt (kontextabhängig und unsicher) die Mitteilung, dass er ungeduldig ist. Und in dem Sinne kann Mitteilung dann kurzfristig eine Information sein. Mit einer solchen Unterstellung von Ungeduld ist dann unter Umständen weitere Klärung möglich oder eben unmöglich gemacht; je nachem. Aber ob, oder ob nicht, dass bleibt nicht allein der Wahrnemung überlassen, sondern dem kommunikativen Prozess, bzw. dessen Codierung und dessen weiterer Bewertung durch Bewusstsein.

Man kann vielleicht sagen, dass, je deutlicher man Bewusstsein von Kommunikation unterscheidet, desto mehr bietet sich eine Unterscheidung zwischen Bewertungen und Bedeutungen an (ohne das die beteiligten Bewusstseinssysteme das notwendig auch so sehen müssten). Mithin gewinnt das Bewusstseinsssystem so schließlich immense Orientierungsmöglichkeiten. Eben weil das Bewusstseinsystem nicht einfach positiv an seiner phänomenalen Umwelt, an seinen Wahrnehmungen klebt, sondern weil es erlebt, dass andere "Dasgleiche" anders erleben, und weil es daraufhin beginnt seine eigene Position/Negationen zu verändern; weil es sich schließlich darauf einlässt die eigene Position "driften" lassen zu müssen. (Und sei es in der heute eher gestelzt wirkenden Form sich selbst als ein klassisches Subjekt zu behandeln. Auch wenn mit der Unterstellung man sei eine Art cartesisches Subjekt die Differenz zwischen Wahrnehmung und Bedeutung, die Differenz zwischen psychischen Systemen und sozialen Systemen unterlaufen wird (auch wenn entsprechend der mögliche Gestaltungsspielraum entfällt, der durch die Beobachtung dieser Differenz möglich wäre. Aber offensichtlich ist es beliebt sich für ein selbstreflexives klassisches Subjekt zu halten.))

Ein Bewusstseinssystem arbeitet also kommunikativ mit Selbstsimplifiaktionen (z.B. mit der Assoziation von Subjekten), die es erlauben bestimmbare Zuschreibungsmuster (also eine Differenz aus Positionen/Negationen) zwischen Innen/Außen, Vorher/Nacher, Alter/Ego nicht nur psychisch, sondern parallel auch sozial zu stabilisieren. Das wird nun aber zum Problem, wenn die sozialen Systeme einen erhöhten Bedarf an operativem Verständnis einfordern, z.B. schlicht dadurch dass unangenehm auffällt, dass gute Intentionen durchaus (und vielleicht wahrscheinlich) üble Folgen haben können (dem humanistischen Subjekt bleibt hier nur die polemische Frage, die mit dem Gegenbegriff droht: Sollen wir deswegen jetzt anfangen das böse zu intendieren? Und evtl. wäre es dann umso mehr davon überzeugt, dass man "das Gute" dann umso intensiver (eben normativ) forcieren muss. Die Vermutung dass die Unterscheidung von Gut/Böse evtl. selbst ein Rohrkrippierer (eine steinzeitartig dividierende Unterscheidung) ist, erscheint oft erst garnicht als Möglichkeit.

Oder, es kann z.B. Leidensdruck erzeugen, dass ein wünschenswerter, erhöhter Veränderungsbedarf immer unwahrscheinlicher wird, gerade weil er mit immer mehr Zumutungen in Bezug auf die Selbstsimplifikation als Subjekt einhergeht, und so wird -für die Beteiligten- der scheinbare Leidensdruck der Veränderung selbst, oder der seiner Alternative, nicht aber das Schema der eigenen Selbstsimplifikation als Problem in das Zentrum der Aufmersamkeit gerückt (Selbsterzeugte Zwanglagen). Wobei hier in vielen Fällen sicher die gesellschaftliche Bedrohung durch Nicht-Veränderungen der Selbstsimplifikationen grösser zu beurteilen wären. (Das ist wohl auf Dauer das Problem mit Defensivsemantiken (vgl. Markowitz, J. (1988) Seele in der Defensive. Anmerkungen zum Problem der Partizipation))

Wie auch immer, man kann sich soziale Situationen vorstellen, in denen die Selbstsimplifikationen der Bewusstseinssysteme soziale Situationen erzeugen, in denen wiederum diese Selbstsimplifikationen zum Problem werden. Man kann sich also vorstellen, dass die Selbstsimplifikationen von Bewusstseinen, die für Kommunikation notwendig sind, früher oder später zum Problem genau mit diesen Selbstsimplifikationen führen. Es entsteht dann eine Situation in der Bewusstseinssysteme sich selbst ermuntern (oder nötigen) ihr Selbstverständnis, ihre Selbstbeschreibung, ihre Selbstsimplifikationen aufzuweichen oder gar komplett zu ersetzen. Das kann es ermöglichen den kommunikativ konstituierten Bedeutungen neue bewusste Bewertungen entgegenzuhalten, um so ggf. tatsächlich auch soziale Realität besser kontrollieren zu können.

Die Frage, die wir uns aber stellen können, ist, ob nicht schon selbst die Plausibilitätsanforderungen des modernen Alltags es mindestens wünschenswert erscheinen lassen auf die Vorstellung von der Einheit von Wahrnehmung und Bedeutung zu verzichten. Z.B. in dem Sinne, dass man darauf verzichtet zu ignorieren, dass psychische Bewertungen (welcher Unterscheidungen auch immer) zwar immer nur in Referenz auf ein -als extern indiziertes- Kommunikationssystem gedacht werden können, aber eben nicht (auch nicht teilweise) mit diesen zusammenfallen. Denn letztlich ist der Fall: Nur weil psychische Bewertung und soziale Bedeutung nicht zusammenfallen ist es dann auch Möglich dass psychische Bewertungen soziale Bedeutung für andere psychische Bewertungen gewinnen können. (vgl. die Semantik "Offenheit durch Geschlossenheit" bei Luhmann).

Luhmann dazu: "Sowohl für Leben als auch für Bewußtsein ist die Selbstreproduktion nur im geschlossenen System möglich. Das hatte der Lebensphilosophie wie der Bewußtseinsphilosophie die Möglichkeit gegeben, ihren Gegenstand »Subjekt« zu nennen. Trotzdem ist die Autopoiesis auf beiden Ebenen nur unter ökologischen Bedingungen möglich, und zu den Umweltbedingungen der Selbstreproduktion menschlichen Lebens und menschlichen Bewußtseins gehört Gesellschaft. Um diese Einsicht zu formulieren, muß man, wie bereits mehrfach betont, Geschlossenheit und Offenheit von Systemen nicht als Gegensatz formulieren, sondern als Bedingungsverhältnis. Das soziale System, dass auf Leben und Bewußtsein beruht, ermöglicht seinerseits die Autopoiesis dieser Bedingungen, indem es ermöglicht, dass sie sich in einem geschlossenen
Reproduktionszusammenhang ständig erneuern. Das Leben und selbst das Bewußtsein brauchen nicht zu »wissen«, dass dies sich so verhält. Aber sie müssen ihre Autopoiesis so einrichten, dass Geschlossenheit als Basis für Offenheit fungiert." (Luhmann, N. (1987) Soziale Systeme, S. 297)

Wenn wir statt dessen aber weiter in hohem Maße unsere Wahrnhemungen direkt mit Bedeutungen assoziieren, also wenn wir weiter ignorieren, dass es für ein Bewusstsein "nur" die Bewertungen der eignen Wahrnehmungen gibt und eben keinen direkten Durchgriff auf sozial konstituierte Be-Deutungangebote (und so letztlich weiter psychische Systeme mit sozialen Systemen verwechselt werden), dann läuft das meiner Ansicht nach auf eines sicher hinaus: Das Änderungspotential wird für heutige Verhältnisse bedrohlich klein gehalten und damit bleiben wichtige Orientierungsmöglichkeiten brachliegen. (Vielleicht hilft hier nur das Interpenetrationskapitel in Luhmanns "Soziale Systeme" zur Pflicht- , nein besser Zwangslektüre zu erklären, um so ein solches Konzept für alteuropäische Subjekte wenigstens breitflächig ablehnungsfähig zu machen)

Das intellektuelle Problem ist und bleibt, dass Bewusstsein und Kommunikation zwei getrennte Dinge sind! Wir unterscheiden also Bewusstsein/Kommunikation. Und ich möchte hier -einer wackeligen Idee folgend-, die Unterscheidung Bedeutung/Bewertung sozusagen parallel zur Unterscheidung Bewusstsein/Kommunikation legen. Bewusstsein ist sozusagen bedeutungsfrei und Kommunikation ist bewertungsfrei. (Hier sind natürlich jetzt die Beschreibungen für "Die Form der Bewertung" und "Die Form der Bedeutung" vorzulegen, aber darauf verzichte ich hier. Wichtig ist festzuhalten, das es nicht um die Unterstellung einer nur analytischen Unterscheidung geht.)

An Kommunikation beteiligtes Bewusstsein erzeugt gewissermaßen Bedeutung, ohne selbst unvermittelt Bedeutung erleben oder induzieren zu können. Es kann "nur" immerfort Beobachten und Bewerten (und fraglos seine Bewertungen auch für bedeutend halten). Aber es kann als einzelnes Bewusstsein nicht aus sich selbst heraus durchsetzten, dass seine Bewertung Bedeutung findet. Das zeigt sich nicht zuletzt am Beispiel der Netzrevolution.

Mein Eindruck ist (und deswegen bete ich auch die konsequente Differenz von Bewusstsein und Kommunikation so verzweifelt nach), dass in dem Maße, in dem ein Bewusstsein seine Bewertungen von Innen/Außen, Vorher/Nachher und Alter/Ego direkt den Selbstorganisationsphänomenen seiner Wahrnehmung zuschreibt (also eine recht naive Selbstsimplifikation einsetzt), in dem Maße wird die Eigendynamik sozialer Systeme unkontrolliert angeheizt. Und in gleichem Umfange macht sich das Bewusstsein zwar nicht vollständig blind für die Probleme (als sturer Hammer sieht es dann nur jedes Problem als Nagel und es verwechselt zudem noch Land und Landkarte), aber es macht sich quasi unfähig die Probleme zu verändern. Weil es eben unter Umständen an dem Widerspruch nicht vorbeikommt die eigenen Selbstbeschreibungen verändern zu müssen, um eine adäquate Problembeschreibung verfügbar zu haben.

Eines kann man auf jeden Fall z.B. mit Dirk Baecker beobachten, nämlich ein unangemessen deutliches Hinterherhängen der Semantik hinter die realen Prozesse der Kommunikation (auch wenn man etwa mit Derrida evtl. eine prinzpielle Diffèrance auch hier ansetzen kann, erscheint die Kluft unangemessen):

"Der Witz ist doch, das wir in der Sprache an Begrifflichkeiten: Markt, Hierarchie, Arbeit, Staat, Kapital, festhalten, die wir in der Praxis längst unterlaufen haben." (Baecker, D. (2006) Workshop Uni-WH, Digitale Boheme, Teil 1, min. 104f -111)

"[...] In dieser Situation sind wir, und das zeigt das unsere Praxis und unsere Semantik auseinanderklaffen. [...]" (Baecker, D. (2006) Workshop Uni-WH, Digitale Boheme, Teil 1, min. 104f -111)

* [Ähnlich wie das Naturrecht (bzw. die Rechtstheorie) die Vorstellung immer und ewig geltender Gesetze aufgeben musste und sich heute weitgehend als positives Recht versteht (eben zugunsten einer gesellschaftlichen Komplexität, die es erforderlich macht Gesetze in der Zeit zu ändern), so werden auch die Vorstellungen über den Menschen als Subjekt, also grob gesagt als "input-output-Identität", verschwinden und neuen (schon vorhandenen) Vorstellungen weichen, die betonen, dass es sich eher um assoziative, relationale Netzwerke handelt, die bestimmte Interferenzphänomene erzeugen. Solche Vorstellungen zu entwickeln, wird es dem Menschen ermöglichen sich souveräner in der Zeit zu verändern und seine soziale Umwelt durch einen funktionalen Blick auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit besser auf sich auszurichten. Man könnte fast meinen, dass die biblische Aufforderung sich die Welt untertan zu machen, sich nicht auf die physikalische Umwelt bezieht, sondern ein Apell ist die sozialen Systeme, die ja der Horizont sind vor dem wir als psychische System Welt konstruieren, dass wir versuchen sollen diese sozialen Systeme zu verstehen als eigene welterzeugende Systeme. Dafür müssen wir aber erstmal soziale, psychische und biologische Systeme zuverlässig und detailliert unterscheiden können.