Sonntag, 1. Januar 2012

Das Ich im Argusauge der Evolution

Immer wenn die Komunikation ein 'Ich' kommuniziert, also immer wenn in geschriebenen oder gesprochenen Sätzen ein 'Ich' auftaucht und in einem spezifischen Kontext entsprechend Anschlussselektivitäten anregt, dann legt sie eigentlich Ihre basale, inhärent blinde Selbstreferenz offen. Unmerklich bleibt das allerdings für diejenigen, die das Wort benutzen und es für ihre eigene Selbstreferenz (und/oder die eines anderen) halten, es sich also in dieser Leerstelle parasitär gemütlich machen ohne zu merken, dass sie sich oder andere mit einer sozialen Kontruktion identifizieren, die sie garnicht alleine kontrollieren können, also auch nicht selbst reflektieren können. Besonders deutlich wird das eben auch im Netz, z.B. in Diskussionen hier, aber auch bei Twitter & Co. Das interessante Stichwort "Deformation professionelle" stellt dies noch als Spezialfall vor. Eine solche Festellung einer Deformation professionelle lässt sich wohl ideengeschichtlich darauf zurückführen, dass die Soziologie schon weit vorher angefangen hat Rollen und Personen als soziale Kontruktionen zu verstehen. Konstruktionen, die allesamt auf Formationen von Erwartungserwartungen von an Kommunikation beteiligten Menschen zurückzuführen sind und deren Perspektiven und Methoden vernetzen; oder , wenn man es anders ausdrücken möchte: Kontruktionen, die 'kollaborativ', nur in Auseinandersetzung mit anderen, weitere Erwartungen der an Kommunikation beteiligten führen, indem sie in einem Kontext als Selbstsimplifikationen von einzelnen als eigene angenommen werden.

Die Dekonstruktion des Rückzugsortes 'Ich' kann aber auch in allen andern Disziplinen als so gut wie abgeschlossen betrachtet werden. Ob es nun das Schismogenesekonzept bei Bateson und Watzlawick, die Weltkonstruktion bei Edmund Husserl ist, das alles sind nur einzelne Beispiele. Die wissenschaftliche Literatur ist in quasi allen Disziplinen soweit, dass sie als unverzichtbare Voraussetzung des laufenden Betriebs der Gesellschaft ein vollständig dekontruiertes (und dann mehr oder weniger durch Wille wieder eingeführtes) 'Ich' in ihren fundamentalen Prämissen mitführt. Nur der Alltag hängt noch sehr stark und emotional an seinem guten alten Identitätskonzept und macht sich das Leben damit unnötig schwer. Aber allgemein kann auch der Alltag nicht mehr rational widersprechen, wenn irgendwie mit Husserl festgestellt wird, dass ja: Erst wenn ich sehe, das andere anders sehen, erst dann kann ich auf die Idee kommen, dass es da eine Welt gibt, die auch für den anderen so ist. Als einzig existierende Lebensform auf einem Planeten, da wäre die wahrgenommene Welt einfach so wie sie ist. Nun hat aber jeder z.B. eine Mutter und schon während des frühkindlichen Ablöseprozess von der Mutter, lernt ein Kind schnell, dass die Mutter u.U. eine andere Perspektive auf die Welt hat und das es nicht nur darum geht Welt in den eigenen Wahrnehmungen wiederzufinden, sondern dass 'der Andere' mit seiner Perspektive interessant und wenn man so will welt- und ich-mitbestimmend wird. Entgegen klassischen biologischen Evolutionstheorien verändert sich der Mensch nicht nur durch den Widerstand, den er durch die physikalische Welt erfährt, sondern in einem viel stärkeren Maße (Konrad Lorenz würde vielleicht sagen: hinsichtlich der innerartilichen Selektion) differenziert er sich aus, durch den Widerstand, durch Widerspruch oder andere co-konditionierende Phänomene des Sozialen, der Kommunikation, letztlich der Gesellschaft. Dementsprechend zeigen die, gedanklich relativ schlichten, Fragen nach dem Ende der Evolution für den Menschen, ganz gut an, das der Fragende in so einem Fall keine Vorstellung davon hat was man als "innerartiliche Selektionsfaktoren" beobachten kann. Als Beispiel dafür verwendet z.B. Konrad Lorenz den Argusfasan, der sich an den Rand der Ausrottung getrieben hat, weil seine Weibchen ganz besonders geil auf extrem lange Unterarmschwingen sind. Es ist für die Männchen der Art also ein wichtiger Faktor sehr lange Unterarmschwingen zu haben, um sich in die nächste Runde der Evolution zu bringen. Nun haben aber lange Unterarmschwingen den Nachteil für den männlichen Fasan, dass er nur noch sehr schlecht fliegen und damit sehr schlecht noch Fressfeinden entkommen kann. Und hier kann man die Frage stellen: Was ist relevanter für das Überleben des Argusfasan? So oder so. Es gibt Selektionfaktoren ausserhalb der Art und es gibt Selektionfaktoren innerhalb der Art, so Konrad Lorenz. Ob die weiblichen Argusfasane nun durch ihre Präferenz für lange Unterarmschwingen in der Lage sind, die Art auszurotten lassen wir mal beiseite.... Ich ( ! :) wollte auch nur andeuten, dass auf vielen Ebenen klassische Vorstellungen von 'Ich' und 'Du' als jeweils aus sich heraus selbstreflektive Subjekte, vollend an die Wand gefahren sind, aber das diese Vorstellungen uns scheinbar trotzdem noch ganz offensichtlich oft den Blick darauf verstellen, dass auch ein 'Ich' sich immer nur in Relation zu anderen in seiner Umwelt definieren kann; nicht als 'Ich' an sich. (Ursprünglich ein Beitrag auf G+)