Sonntag, 28. Juli 2013

Sei authentisch und Du hast nichts zu verbergen, wenn Du ein Guter bist

Manchmal versuche ich mir noch vorszustellen, wie es so ist diese "Ich-habe-doch-nichts-zu-verbergen” Attitüde in seiner Argumentation, um das Thema “Überwachung/Grundrechte” zu implizieren. Es ist ja nicht einfach Dummheit, die dahinter steckt.

Scheinbar liegt dieser Haltung eine Art recht ausgeprägter Egozentrik zu grunde. Die Vorstellung das man doch so sei, wie man sich selbst beobachtet und das andere einen ja nicht anders beobachten können (ohne dabei (mehr oder weniger mutwillig) Fehler zu machen), diese Vorstellung ist offensichtlich sehr mächtig.

Andererseits liegt für jeden auf der Hand, dass man anderen eben nicht hinter die Stirn gucken kann und das es einen Unterschied zwischen der Selbst- und Fremdbeobachtung durch das jeweils eigene Bewusstsein und der Selbst- und Fremdbeobachtung durch Kommunikation gibt. In Binsen: Kommunikation ist nicht gleich Bewusstsein. Wenn man so will sind Bewusstsein und Kommunikation schliesslich völlig unterschiedliche Medien der Selbstbeobachtung. Und entsprechend wird kein Bewusstsein je die Perspektive der Selbstbeobachtung der Gesellschaft (der Kommunikation) einnehmen können (und umgekehrt, natürlich). Es scheint nun so; in dem Rahmen in dem das als Prämisse ignoriert wird tritt eine merkwürdige Gleichsetzung von Kommunikation, Gedanken und intendierten Objekten an den Tag. Im Anschluss scheint dann die Forderung nach “Authentizität”, also die Forderung nun so aufzutreten wie man für sich selbst ist, für viele einen gewissen Schutz(zauber) zu versprechen. Die vermeintliche Selbstgewissheit über die eigene “Authetizität” vermittelt wohl einen Eindruck, so nach dem Motto: Sei man auch mal der “Nicht-Authentizität“ beschuldigt, wirkliche Authetizität sei schliesslich feststellbar und als Fehler korrigierbar. Ich-hab-doch-nichts-zu-verbergen-Attitüden ignorieren ganz offensichtlich die Tatsache, das nicht man selbst kontrolliert, wie man von anderen Systemen (Bürgern, Bürokratien, Organisationen, Staaten) beobachtet wird und sie leugnen schlicht ab wie sich weit über Verbrechensbekämpfung hinausgehende Probleme daraus ergeben. Diese Fraktion hat offenkundig für sich völlig plausibel verinnerlicht, dass das Problem sei die Guten von den Schlechten zu trennen, und da man selbst natürlich zu den Guten gehört, diesbezüglich nichts zu befüchten ist (ausser vielleicht das jemand verhindert gegen die Schlechten im voraus vorzugehen).

Auch liegt auf der Hand, dass man sozusagen nicht mal sich selbst vollständig hinter die Stirn gucken kann. Man kann schwer leugnen, dass, wenn Selbst- und Fremdbeobachtungen, letztlich Konstrukte der Selbstbeobachtung eines jeweiligen beobachtenden Systems sind und also beide innerhalb der Grenzen eines beobachtenden Systems prozessiert werden müssen. So hat kein beobachtendes System in seinen Operationen die Kapazität totalreflexiv beide Strukturen (Selbst- und Fremdreferenz) übergeordnet als Einheit der Differenz zu beobachten, um sich selbst oder seine Umwelt vollständig zu erfassen. Es mag in Meditationen zustände geben in denen ein Bewusstsein mit seiner Umwelt verschmilzt, im Sinne einer Auflösungen von Grenzen und Unterscheidungen und sich so quasi mit dem Universum verschmolzen fühlt. Das ist aber nicht ganz das was ich hier meinen möchte. Sowas würde eher ein Erleben von Einheit beschreiben und eben nicht das Erleben der Einheit der Differenz, die man als unbeobachtbar verstehen kann.

Mit anderen Worten: es gibt so oder so keine vollständigen, keine "richtige" Beobachtungen. Ein beobachtendes System kann weder seine Umwelt, noch sich selbst vollständig (und eben schon garnicht "richtig" oder "authentisch") beobachten und erst recht nicht eine Interaktion zwischen verschiedenen, sich wechselseitig beobachtenden Systemen zuverlässig oder "richtig" antezipieren.

Was macht es nun aber gesellschaftlich, wenn eine Vielzahl der Leute so tut als ob es “Authetizität” gäbe, als ob wir uns letztlich alle “richtig” beobachten können, wenn wir nur wollen?

Wenn man sich die psychologische Literatur zum Thema Double-Bind ansieht und daraufhin die “Sei athentisch”-Forderung und die “Sei spontan”-Forderung, Hexenverbrennungen und bestimmte Freund/Feind-Beziehungen als Typus einer bestimmten Art von Double-Bind Kommunikation identifiziert, dann wundert es nicht mehr so sehr, dass sich die Gesellschaft (Kommunikation) so schizophren-paranoid verhält. Wir benutzen technische Strukturen, deren Effekte uns sozusagen auf einer gesellschaftlichen Ebene erkenntnistheoretisch überfordern und uns deswegen offensichtlich in bestimmte Double-Bind Probleme hineinführen.

Die Mütter und Väter unserer Grundrechte würden auf jeden Fall im Grab rotieren, könnten sie erleben mit welcher Dreistigkeit Politiker ihren Eid brechen und mit welcher Naivität ein wahlbestimmender Teil der Bevölkerung ihre eigenen, von mutigen Menschen in der Geschichte erkämpften Grundrechte abwählt. In welchem Umfang offensichtlich ein Wissen (oder zumindest ein Gefühl dafür) verloren gegangen ist, dass es bei der Struktur eines Rechtsstaates nicht um Freund/Feind-Schema geht, nicht darum, dass die Guten ungeahndet das Schlechte tun können, weil es ja für das Gute ist, das ist für mich eigentlich das beunruhigendste, wenn ich die aktuellen Debatten zum Thema Grundrechte beobachte. Die Unschuldvermutung, die Gewaltenteilung, im Prinzip die verfassungsmäßige und strukturelle Unvoreingenommenheit eines Rechtsstaates gegenüber seinen Bürgern, wird in seiner Relevanz heute anders bewertet (übrigens von den Amerikanern selbst. Man sehe sich dazu z.B. Demokratie-Proaganda aus den 50ern an). Das geht ja soweit, dass ein gewisses Pre-Crime-Konzept von vielen als stubenrein verkauft und von anderen angenommen wird. Das ist alles sehr sehr bedenklich, zumindest wenn man die Welt nicht für einen Waldorf Kindergarten hält.