Samstag, 31. Oktober 2015

Macht, Selbstorganisation und selbsterfüllende Prophezeiungen

Der Mensch hat seine Geschichte schon immer gemacht, er hat sie bloss noch nicht bewusst gemacht. (vgl. Rudi Dutschke: https://youtu.be/U6X-ZeYC54E?t=9m52s )

Wenn man nun davon ausgeht und das tue ich auch. Dann kann man sich die Frage stellen, welchen Unterschied es macht, wenn z.B. davon ausgegangen wird, das dem nicht so ist. Angenommen es wird weitläufig davon ausgegangen, dass die Geschichte (also Entscheidungen über die Richtungen in die die Gesellschaft sich bewegt) nicht von der Gesellschaft selbst und mehr oder weniger insgesamt, sondern von wenigen, einzelnen Menschen bestimmt gehören, denen man nur genug Macht geben muss. Damit es eben "richtig" weitergeht. Diese Grundidee zieht sich von Platons Philosophenkönigen bis in die heutige Zeit durch und zwar in den verschiedensten Formen und Farben. Manche gehen davon aus, das Menschen es zwar könnten, aber von dezentralen Entscheidungsgrundagen lieber die Finger lassen sollten. Und andere sehen schlicht eine Notwendigkeit in zentralen Entscheidungen, weil es garnicht anders ginge, als durch den heldenhaften Leader und seinen Jüngern. Diese Idee ist nicht nur verbreitet unter denen, die Einfluss ausüben möchten, um zu gestalten. Sondern diese Idee ist insbesondere verbreitet unter denen, die sozusagen die Einflussnehmer tragen, indem sie zustimmend, bzw. tolerierend Entscheidungen abnehmen lassen; nämlich die Menschen insgesamt.

Ganz offensichtlich scheint: eine derartige Vorstellung in einer entsprechenden Verbreitung wirkt als selbstverwirklichende Prophezeiung. Es wird erwartet, dass der Mensch geführt werden muss. Deswegen werden entsprechende Mittel gewählt und dann wird er auch geführt werden. Wie solche Passivhaltungen auch komfortabel sein können sieht man wohl ganz gut in Deutschland. Man gibt sich grossflächig damit zufrieden, dass man Instanzen sieht, denen man Schuld zuschreiben kann; nachdem man sich eine hiesige Talkshow ansah. diese Passivhaltung, dass andere die Gesellschaft bewegen sollten, um sie besser zu machen ist eine Haltung, die sozusagen die kognitive Dissonanz zwischen Kommunikation, bzw. Erwartungen auf der einen Seite und dem konkreten eigenen Handeln auf der anderen Seite überbrückt. Durch Schuldzuweisung wird quasi die Frage nach der eigenen Verantwortung getilgt.
In diesem Sinne hat eben auch jede Gesellschaft die Regierung, die es verdient.

Das hat der Rudi alles verstanden und entsprechend spricht er von dem, die Politik tragenden, Bewusstsein, bzw. der Reflexionsfähigkeit in der Gesellschaft. Die Grundidee der Selbstorganisation ist noch heute, insbesondere in der Politik nicht wirklich angekommen.

Die Ideen dazu, die heute an den Rändern der Sozialwissenschaften in einer geradezu entzückenden Weise sich weiter entwickeln, die liegen brach. Ausser vielleicht um hier und da eine rhetorische Pointe abzurunden und dabei klug zu erscheinen oder um in einer falschen und verzerrenden Weise "Totschlagargumente" zu konfabulieren, die kurzfristig eine gewisse diskursive Duldungsstarre provozieren können.

Insgesamt scheint die Rationalität nicht verstanden, dass wir als Gesellschaft uns keine zentralen Entscheidungspunkte vom Typus vergangener Zeiten mehr leisten können. Nicht nur weil die schlicht nicht leistungsfähig genug sind, sondern weil sie als Lösung das Problem sind. Bei einem weltgesellschaftlichen Differenzierungsgrad, liegt der Verdacht (auf jeden Fall der Wunsch) nahe, dass zukünftige Soziologen sagen werden: Das (also heute) war so grob die Zeit, in der die Menschen sozusagen durch ihre vorweglaufenden Handlungen eine derartige Komplexität aufbauten, mit der sie sich selbst schließlich zu einem drigend nötig gewordenen Selbstbewusstheit forcierten, immer, in jedem Moment und sozusagen in jeder noch so kleinen Situation mitverantwortlich zu sein.

Ich freue mich über "Aufklärer" wie Rudi Dutschke, bin aber heute skeptisch, dass man Gesellschaft insgesamt über Aufklärungsversuche spezifisch beeinflussen kann; nichts desto trotz bin ich nicht weniger optimistisch geworden, weil man sehen kann, dass Menschen insgesamt sich sozusagen entlag selbsterzeugter Probleme entwickeln, bisher aber eben dabei noch so tun als sei dem nicht so. Aber ich bin sicher, dass Grundideen der Selbstorganisation letztlich selbstevident plausibel sind, sich auf Dauer durchsetzen gegenüber Ideen, die auf dem Prinzip Führer/Geführte aufbauen.

Wenn man nicht sooo an den Fortschritt durch Aufklärung glaubt, also daran glaubt, dass Gesellschaft sich sinnvoll im voraus bewegen kann, um ihre Krisen durch Prophylaxis zu umgehen. Sondern wenn man mehr davon ausgeht, dass Gesellschaft sozusagen die Probleme erst selbst erzeugen muss, an denen sie dann später die Chance bekommt zu lernen, dann erwartet man zumindest nicht ohne weiteres schmerzfreie Verbesserungen. Insbesondere, wenn z.B. die unterkomplexe Idee des Prinzips Führer/Geführte vor die Wand fährt, dann kann man jetzt schon gut die vermehrten "naiven" Reaktionen vorstellen (Die man ja jetzt auch schon sieht). Etwas funktoniert in der Gesellschaft nicht wie gewünscht, wo ist das Problem? Es gibt Instanzen, die einfach noch nicht genügend Macht haben. Das Problem wird nicht Strukturell gesehen, sondern an individuellen, persönlichen Defiziten, ggf Machtdefiziten festgemacht. Und die von Watzlawick so unterhaltsam beschriebene Lösung des Mehr-des-selben ist gerade für dieses Problem der Organisation in der Gesellschaft besonders vorhersehbar und leider auch alle Probleme, die sich dadurch ergeben und auch noch ergeben werden.