Freitag, 14. August 2009

Recht als Wettbewerbsvorteil

Nehmen wir z.B. die Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats vom 27. Februar 2008. In diesen Leitsätzen ruft das Bundesverfassungsgericht ein neues Grundrecht aus, nämlich "das Grundrecht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme".

Dort heißt es in Absatz 1 und 2:

"1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.

2. Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Überragend wichtig sind Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. Die Maßnahme kann schon dann gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für das überragend wichtige Rechtsgut hinweisen." (Quelle: www.bverfg.de)

So ist es quasi verboten Menschen in "informationstechnischen Systemen" auszuspähen (es betrifft also nicht nur Computertechnologie) und über sie Daten zu sammeln (wenn nicht Kriterien aus Absatz 2 relevant sind). Und, das möchte ich besonders betonen, dies ist nicht nur dem Staat verboten! Es hat ja nicht nur der Staat interesse an den Spuren, die wir hinterlassen. Ich denke Absatz 2 definiert die Grenze mit der Formulierung "überragend wichtiges Rechtsgut" recht gut. Jenseits dieser Grenze, das sollte allgemeiner Konsens sein, ist es wohl kein großes Problem dem Staat gezielt einzuräumen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der informationellen Selbstbestimmung einschränken zu können.

Ich möchte aber auf etwas anderes hinaus. Interessant ist dieser Beitrag des BverfG nicht nur deswegen, weil ein wichtiges neues Grundrecht in Anschlag gebracht wird, das den Einzelnen vor neuen Machtpotenzialen schützt. Interessant ist es auch aus einer anderen, ökonomischen Perspektive.

Dazu ein kleines Beispiel: wenn ich bei einem amerikanischen Unternehmen meine Onlinedienste benutze, dann weiß ich das meine Daten dort sozusagen vogelfrei sind. Bei einem Unternehmen, das deutschen Grundrechten unterliegt wäre das nicht ohne weiteres der Fall. Wenn ich dann als User (egal wo!) vor technisch gleichwertigen Angeboten stehe, eines aus Deutschland, eines aus den USA; dann muss ich überlegen: wähle ich das Angebot, das mir als User "das Grundrecht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme" gewährt oder wähle ich das andere.

`Will sagen: Das deutsche Grundrecht kann zum Wettbewerbsvorteil für Unternehmen werden, die sich diesen Grundrechten (durch Standortwahl) verpflichten. Gerade in der kommenden rechnergestützen Gesellschaft wird das ein wichtiger Punkt für viele Menschen in der Wirtschaft werden. Denn man lässt sich vielleicht noch sagen:" hier sind die Bauteile, bastel Dir Dein Bücherregal selbst."; aber lässt man sich auf Dauer auch sagen: Ab jetzt schneiden wir mit unseren Produkten Deine Aktivitätsmuster mit und verwenden Deine persönlichen Daten für eigene Zwecken (weitergabe inklusive). Wir machen Dich so quasi zu einem unbezahlten Mitarbeiter (Spitzel), der uns durch seine Informationen ganz neue Möglichkeiten der ökonomischen und politischen Einflussnahme verschafft. OK?

Weil ein Verzicht auf "mithörende" Produkte oder ein verstecken vor informationstechnischen Systemen keine Option mehr ist, scheint das genannte neue Grundrecht dringend nötig. Es ist schwer auszumachen welch ökonomisches und politisches Machtpotenzial so entsteht (und schon entstanden ist), z.B. durch die Entwicklungen im Bereich des Data Mining . Wir wissen nur: noch nie wussten die großen Organisationen so viel über die Menschen. Und schon immer gab es für Organisationen nur eine Möglichkeit Menschen zu kontrollieren: Informationen über sie zu nutzen. Wovor haben sie Angst? Wie kann man sie überzeugen?