Sonntag, 25. Januar 2015

Philosophie, Alltag und Aufmerksamkeit

Im Grunde wissen wir alle, dass Philosophie nicht bloss relevant ist, wenn man Philosoph ist und dass man nicht keiner Philosophie Ausdruck verleihen kann. Und dabei ist sie auch nicht das was wir als solche ins Poisiealbum schreiben. Unsere Philosophie lässt sich aus Mustern von Vereinfachungen ablesen, mit dem wir unsere Entscheidungen treffen. Schon wenn man nur kurz drüber nachdenkt wird klar, dass die Philosophie als Disziplin eine wahre Goldgrube an Erzählungen über verschiedene Perspektiven ist. Eine Disziplin, die das Denken über das Denken im Kern hat und die sich trotzdem sehr zurückhält ihre Bedeutung im Alltag vehement anzuzeigen. Vielleicht, weil viele Rezipienten, sowie (auch) Philosophen, dazu neigen die wunderbaren Werke zu verabsolutieren und als Erzählungen über die Welt und nicht als Erzählungen über Perspektiven zu verstehen. Und wenn man davon ausgeht, dass die Welt eben ist wie sie ist, auch wenn ich mich nicht mit ihr beschäftige, dann gibt es keinen besonderen Grund sich nun nach Philosophie im Alltag zu fragen. Wenn aber die Erzählungen über die Perspektiven verändern wie wir die Welt verändern, dann stellt sich ziemlich direkt die Frage, wie unglaublich relevant der Alltag ist, in dem wir alle unsere im wahrsten Sinne welttragenden Entscheidungen treffen. Und angesprochen auf die massive Bedeutung des Alltags fällt eine relativ häufige Philosophie auf: Es muss ja weitergehen, ich habe keine Zeit für sowas. Die [da oben/die anderen] sind im Zweifel schuld.

Wie auch immer: Die Vereinfachungen, die Bilder, die Logiken mit den wir unsere Entscheidungen treffen, die verantworten wir halt letztlich immer selbst und schließlich reicht es nicht zu sagen Ich habe ja den Befehl bekommen, oder ich wurde ja desinformiert. So ist das, und deswegen könnte es nicht schaden seine Philosophie hier und da mal zu hinterfragen. Beispielsweise, an welchen Stellen wir unser kuscheliges Dasein auf der einen Seite und der Aneignung von Rohstoffen (mit geheimdiensltichen und militärischen Mitteln) andererseits zusammenbekommen mit dem was wir so in Poisiealben schreiben. Wir bekommen mit, dass ein Bundespräsident (Köhler) vom Hof gejagt wird, weil er richtig feststellt, dass wir unsere wirtschaftlichen Interessen militärisch verteidigen. Und im Ganzen scheint, das nicht besonders viel Wind gemacht zu haben. Dass wirtschaftliche Interessen militärisch verteidigt werden, scheint keinen wirklich zu stören, bzw. zu interessieren. Die Bundeslige, ADAC-Statistiken, Bobby-Cars finden deutlich mehr Resonanz. Nun wird es nicht so sein, dass die Leute, die das ja mitbekommen, sagen: Ist ja auch OK, Menschen für unseren Wohlstand zu töten, „Highway to hell“. Sondern der tiefe Glaube daran, dass es um das Gute geht und das Unschuldigkeit im Spiel ist, scheint die Aufmerksamkeit für das Böse in gewisser Weise zu bannen. Das sind doch Verschwörungstheorien und btw. es muss doch weitergehen, ich habe keine Zeit für sowas. Die [da oben/die anderen] sind im Zweifel schuld. Wie auch immer im Einzelnen Einzelne mit Informationen umgehen, wir alle arbeiten mit Vereinfachungen, die auf die ein oder andere Weise Welt verändern. Verinfachungen, die uns physiologisch nahegelegt sind, aber in der Großzahl welche, die uns über unsere Kultur angetragen werden und die wir dann als Prämissen unserer Entscheidungen verwenden.

Wir sollten uns immer wieder bewusstmachen, dass Kultur nicht in Vitrinen steht, ja dass sie sich sogar nur sehr schlecht beobachten lässt. Weil sie sozusagen das Medium ist in der wir als Individuen unsere Lebenswelt anlehnen. Und gleichzeitig das zu hinterfragen, was man gerade als Prämisse benutzt wird, erfordert relativ viel - sagen wir mal - Unvoreingenommenheit und Gedult.

Psychologisch ist der Homo Sapiens (nicht nur als Nazi) heutzutage krass separatistisch unterwegs und erkennt bestimmte Artgenossen schnell als Fremde, Feinde, Konkurrenten, Gegner, Opponenten, usw. und gewinnt daraus einen gehörigen Teil seiner Identität, aus mehr oder weniger aggressiver Abgrenzung (im Unterschied zu anderen). Seine Frage ist heute nicht: Wie machen wir uns das gemeinsam kuschelig? sondern eher: Lass die mal machen, die da sagen die anderen sind die Bösen. Aber er hat total Mitleid mit den armen afrikanischen Kindern, die für seinen billigen Luxus leiden und sterben müssen, spendet ein paar Euro und geht am nächsten Tag gehts wieder zum Job bei der Deutschen Bank (Beispielsweise), um für seine industrielle Lebenswelt die hälfte seiner Wachzeit zu Arbeiten und hier und da mal kritisch-schöngeistige Dinge in Poisiealben zu schreiben, letztlich nur um geknuddelt zu werden. Aber an der Anzahl solcher Poisiebucheinträge werden wir als Kultur nicht beurteilt. Da kann man mal drüber nachdenken. Die Zahl der hungernden und im Elend sterbenen Menschen zeigt direkt an, in welchem Umfange wir als Menschen entschieden haben andere Menschen für unseren Wohlstand sterben zu lassen. Ein Symptom des geistigen und kulturellen Zustands der Menschen auf der Erde.

In welcher Weise können und wollen wir überhaupt verantworten womit wir unsere Aufmerksamkeit beschäftigen? Denn es ist generell so, wie es z.B. bei der Fußball WM ist. Das System wird ausschließlich getragen von denen, die Ihre Aufmerksamkeit zur Verfügung stellen. Und von nichts anderem. Unsere blosse Aufmerksamkeit ist Ursache von Elend und Ausbeutung in großem Umfange. Aber wir lassen uns ein paar schöne romantische farbige Bilder pitoresker Armut mit fröhlich spielenden Kindern zeigen, die Sehnsucht nach einem einfachen und glücklichen Leben anspielt. Ein Leben von dem wir weit entfernt sind und zynischerweise sogar denken können, dass „die“ es sogar besser haben, weil die natürliche Glücklichkeit des Einfachen … blabla. Auf jeden Fall freuen wir uns auf das folgende Spiel, weil wir das verdient haben und wirklich schuld sind ja [da oben/die anderen].

Der gemeine Deutsche Homo Sapiens gibt im Schnitt 3,5 Stunden seiner Aufmerksamkeit der Glotze. Das sind 1277,5 Stunden Aufmerksamkeit (Aufmerksamkeitsstunden) im Jahr. Das sind bei 80 Mio. Deutschen 102.200.000.000 Aufmerksamkeitsstunden. Das macht natürlich etwas mit userer Kultur und mit unserer Art zu denken (Hinweise dazu:http://dradiowissen.de/beitrag/meinungsforschung-einfluss-von-unterhaltungssendungen ). Mit dieser Zeit könnte die menschliche Aufmerksamkeit rechnerisch 1022 Wikipedias aufbauen (http://youtu.be/p8wR-GXeOQo?t=6m46s). Und nebenbei, unterstellt einen 8 Stunden Tag, abzüglich Feirtage usw., verkauft er 1612,8 Stunden seiner Aufmerksamkeit im Jahr, um 1277,5 Stunden vor der Glotze zu sitzen? Die Zahlen sind natürlich etwas zugespritzt nebeneinandergehalten, aber eben nicht falsch. Und der Begriff Hochkultur ist nicht das erste was einem dazu einfällt.

Unsere Philosophie macht es möglich. Verantwortung haben die anderen. Ich ackere ja nur um mein Leben, und vertraue“. Die Frage nach Aufmerksamkeit und Verantwortung stellt sich offensichtlich nicht sooo. Unsere Aufmerksamkeit will es bequem und gemütlich.