Sonntag, 28. Mai 2023

Tatsachenwissen, Medien und künstliche Intelligenz

Es gibt die interessante Unterscheidung von Tatsachenwissen und Vernunftswissen. Vernunftswissen ist sozusagen Wissen auf das Menschen zu verschiedenen Zeiten immer wieder kommen können, zB den Satz des Pythagoras. Tatsachenwissen hingegen ist quasi dokumentiertes Zeitzeugenwissen, das, wenn Dokumentation verschwindet ebenso für immer verschwinden würde.
Nun ist insbesondere unser politisches Denken & Handeln massiv an Tatsachenwissen orientiert, das medial über die Zeit dokumentiert und akkumuliert wird. 
Und da wir alles was wir über die Welt wissen aus den Massenmedien wissen, kennen wir die Bedeutung von Bildern und Videos nur zu gut, die wenn man so will unser Vertrauen in unser Wissen über die Welt decken konnten. Einfach weil Manipulation sehr aufwendig, nur im Einzelfall anwendbar und auf einem bestimmten Level schlicht unmöglich war.
Wenn die letzten Zeitzeugen verstorben waren, so waren Bilder und Videos etwas, dem man einigermaßen Vertrauen konnte.

#AI wird nun in naher Zukunft ein fundamentales Vertrauensproblem aufbringen. Woher weiß ich, dass die Google Bildersuche eine Suche ist und nicht aus meiner Sucheanfrage ein Prompt generiert wurde, der wiederum passende Bilder generierte? (Hier im Bsp ein Tweet von History in Pics als Dall-e Prompt, der im vgl zum Original ein verblüffend stimmiges Bild erzeugt
https://twitter.com/christorpheus/status/1570153142200991744?t=gYB78yAx9sKbGxkBWXXUObiyGAfwxgf7PQZLXxeZGJU&s=19)

In naher Zukunft ist keine elektronische Dokumentation von Tatsachenwissen mehr sicher. In einer Gesellschaft, in der wir entscheidende Anteile unseres Tatsachenwissens an Ereignissen orientieren, die wir medial dokumentiert als Beschreibung der Welt akzeptieren und dies dann entsprechend unser Denken und Handeln leitet, in so einer Gesellschaft werden AI-Systeme, die alles direkt auf Zuruf passend generieren können ein existenzielles Problem für eine Gesellschaft aufwerfen, die im Sinne der Aufklärung ihre eigenen Kognition zum Maßstab gesellschaftlicher Entwicklung machen möchte und dafür auf einen differenzierten Umgang mit Vertrauen angewiesen ist.

Die erste Gefahr ist nicht mal dass die AI uns alle tötet. Die erste Gefahr ist, dass die Menschen und Organisationen, die politische oder wirtschaftliche Macht und Einfluss anstreben und solche deren Geschäft es ist Menschen zu manipulieren und zu kontrollieren, dass die ein Mittel an die Hand bekommen, dem sie nicht widerstehen können und das letztlich eingesetzt durch wenige, um die vielen zu dominieren, sicher gesellschaftliche Dystopien provizieren wird. Dystopien, in denen selbst die dümmsten Tyrannen Gesellschaften in Kontrolle halten können, wenn sie eine überlegene Intelligenz einsetzen können, die der der zu kontrollierenden Gesellschaft überlegen ist. 
Früher hatten zentrale Führungsformen letztlich immer das prinzipielle Problem, dass an einer Spitze die kognitive Kapazität fehlte, um für Millionen von Menschen funktionierende Formen zu finden. Was damit gemeint ist kann man am Beispiel der Unterscheidung Marktwirtschaft/Planwirtschaft gut andeuten.
Auf der einen Seite kann man Marktwirtschaft als Beispiel einer dezentralen Form beobachten, in der freie Teilnehmer freie Entscheidungen treffen und so Bedürfnisbefriedigung effektiv und lokalen Bedürfnissen entsprechend organisiert wird. Und auf der anderen Seite gibt es Planwirtschaft, eine zentrale Planstelle für ein Land, dass die Entscheidungen nicht verteilt, sondern an einer Spitze zusammenzieht, die nicht die kognitiven Kapazitäten und Perspektiven besitzt, um ähnlich effektive Bedütfnisbefriedigung zu organisieren.

Ein solcher Nachteil zentraler Machtapparate kann nun durch eine überlegene AI ausgeglichen werden. Plötzlich kann ein zentrales Planbüro eventuell effektiver planen, als es in Systemen mit verteilten Entscheidungen möglich ist. 
Dieser klassische quasi spieltheoretische Vorteil von dezentralen Systemen mit verteilten Entscheidungen, was die effizienz und Produktivität von Entscheidungen betrifft, war vermutlich ein wichtiger Grund warum sich etwas durchgesetzt hat was wir heute als freie Gesellschaften bezeichnen. Freie Bürger lieferten sozusagen in entscheidenden Hinsichten bessere Ergebnisse, als kontrollierte Bürger. Diese Begründung für Freiheit zerbröselt in dem Maße, in dem freie Entscheidungen im Vergleich zu Entscheidungen einer zentralen AI Instanz als Nachteil auffallen und die Einzenen für Ihre eigenen Gedanken als Bedrohung gesehen werden können.