Vorhin habe ich auf x fassungslos folgendes Interview gesehen.
Moderator: "...ab sofort Waffenstillstand? Wenn Sie diese Leiden selbst gesehen haben."
Baerbock: "Weil um dieses Leid zu lindern, um möglichst dafür zu sorgen, dass insbesondere jetzt in Gaza die Menschen mit dem Nötigsten versorgt werden können, mit Wasser, mit Lebensmitteln, dann hilft es eben nicht einfach aus dem Impuls heraus "die Waffen müssen schweigen zu sagen", weil das ist nicht Aufgabe von Politik, sondern daran mitzuwirken, dass wirklich auch diese humanitäre Hilfe ins Land kommt." Quelle: https://twitter.com/SevimDagdelen/status/1739342199383363659?t=3GTRe2LxUrYKPkGpgnu1vg&s=19
Wow. "Krieg ist humanitäre Hilfe" und einen Waffenstillstand zu fordern ist nicht Aufgabe der Politik!
Eigentlich sagt sie quasi direkt:
20k Tote in über zwei Monaten. Da kann man jetzt nicht einfach spontan aus dem Bauch heraus Waffenstillstand fordern! Das ist auch gar nicht die Befugnis der Politik. Sie muss sich nämlich darum kümmern, dass humanitäre Hilfe wirklich ins Land kommt, und dafür braucht es eben Krieg.
Langsam wird es wirklich zu absurd. Selbst wenn man ihre Position vertritt, kann man doch erwarten, dass die deutsche Außenministerin nicht so einen 1984-artigen Blödsinn von sich gibt, sondern ihre Position mit plausiblen Argumenten unterlegen kann.
Vielleicht verliert man diese Kompetenz, wenn man sich duch Werteduseligkeit vor dem Publikum zu lange damit zufrieden geben kann die eigene Seite als gut zu verkünden und einfach gegen das Böse abzugrenzen.
Es geht ja nicht nur darum, sich pro oder contra einer Entscheidung zu positionieren und diese dann mit Gut- und Böse-Rhetorik öffentlich mitzuteilen, sondern es geht darum, Entscheidungen sachlich zu begründen und nicht einfach nur durch moralinsaures Gelaber die Leute in Duldungsstarre zu labern.
Begründungen für Entscheidungen sind wichtig, weil man an ihnen auch den Zusammenhang von verschiedenen Entscheidungen nachvollziehen kann. Das ist logischerweise eine wichtige Funktion von Begründungen politischer Entscheidungen in einer Demokratie. Insbesondere in einer repräsentativen Demokratie ist es für den Bürger wichtig, nicht nur zusammenhanglos von einer Entscheidung zur nächsten mitgenommen zu werden.
Gerade wenn Parteien aus einer Parteienlogik heraus für den Wähler ganze Entscheidungspakete anbieten sollte man sich als Wähler zumindest einen sachlichen Reim darüber machen können, wie die Argumente für die Entscheidungen sachlich im Zusammenhang stehen. Mit einer "Gut-Böse-Rhetorik", mit einer "Sonst geht die Welt unter-Rhetorik" oder sonstigen Alternativlosigkeitsrhetoriken kann man natürlich Entscheidungen forcieren, indem man sie quasi moralisch nudgt, aber ein Gefühl für den Zusammenhanh provoziert man beim Publikum nicht.
Das ist zu beliebt geworden. Zu beliebt, weil man den Wähler über moralisches Nudging letztlich von den sachlichen Grundlagen der Politik abkoppelt.
Das Publikum vergisst über moralische Kommunikation zu gern, dass es überhaupt nicht-alternativlose Situationen gibt, die man mühsam abwegen muss. Schon weil es eben einfacher ist moralische Haltung statt sachlicher Argumente zu kommunizieren. Besonders, wenn medial vorgeführt bekommt, dass man für die gute Seite nicht in Erklärungs- oder Rechtfertigungsnot gebracht wird, also quasi auch nicht sachlich argumentieren muss, sondern die Haltung für eine Seite selbst wie ein Argument sozial anerkannt wird.
Das Problem bei zu viel moralischem Nudging ist unschwer zu erkennen. Wenn Wähler in signifikantem Umfang anfangen moralische Haltungen mit sachlichen Argumenten zu verwechseln, dann bleibt der öffentliche Diskurs sachlich stecken. In moralischen Kategorien sind Kompromisse quasi inhärent ausgeschlossen. Der andere ist entweder Freund oder Feind. So kommt es in der Kommunikation nicht zum Kampf um Argumente für relevante sachliche Aspekte von Entscheidungen und entsprechend zu abgewogenen Kompromissen, sondern es kommt zu einer argumentativ völlig unbrauchbaren Dauereskalation, die den engen Diskursraum verstopft, ohne Fortschritt wahrscheinlich zu machen.