Heil pullt nach 17 Jahren mal wieder einen Paulus, bzw korrigiert das 2006 von Müntefering falsch zitierte Pauluszitat "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" und macht es so ungleich wirksamer. (Vgl. Post auf X)
Heils Rahmung, in der er quasi "Zwangsarbeit" (also nicht selbstausgesuchte Arbeit, bei der es den niedrigst möglichen Lohn gibt, bei deren Ablehnung die Existenzgrundlage entzogen werden & diesbezüglich logischerweise keine Verhandlungsposition besteht) umdeutet zu etwas, das moralisch geboten ist, der ist vergleichweise schwer zu entkommen.
Wenn man eine freie Berufswahl und eine Verhandlungsposition nicht vorsieht, dann kann man in Heils Variante sagen: Jemand bekommt ein Angebot, könnte also arbeiten und wenn er das Angebot nicht ausführen möchte, dann wäre das ein Zeichen, dass er nicht arbeiten WILL und so soll er deswegen auch nicht essen.
Müntefering wurde damals noch vorgeworfen, dass die, die nicht arbeiten können, ja doch irgendwie essen können sollten und dass Müntefering das Zitat zu allgemein, eben falsch angesetzt hat. Diesen Vorwurf kann man Heil heute nicht machen. Deswegen ist dieser Rahmung auch nicht mehr so einfach zu entkommen, wenn man sein Gedankengebäude ausschließlich mit moralischen, bzw Gesinnungs- Attitüden, statt mit sachlichen Argumenten fundiert hat.
Sachlich problematisch aus der Sicht einer Arbeiterpartei könnte man zB betrachten, dass man einer nicht kleinen Anzahl von Arbeitern mit dem Nein-sag-Potenzial kompletto die Verhandlungsfähigkeit nimmt. Das wird interessanterweise implizit mit einem "staatlich beglaubigtem" Mindestlohn legitimiert und damit wird dann auch der Sack zugezogen und eine stabile Niedriglohnzone etabliert, die dann umfassend politisch kontrolliert werden kann.
Defakto ist der Mindestlohn so eine Art sehr starker "Anker" für jede neue Lohnvereinbarung. Denn der Mindestlohn (oder sogar weniger) ist dann der Bereich, zu dem man nicht mehr Nein sagen können soll. Das ist langfristig eine ganz schlechte Grundeinstellung des Systems auch und gerade für die Arbeitenden, bei denen mit jedem neuen Arbeitsvertrag sich die Löhne für die meisten und zunehmend mehr Arbeitende in Richtung Mindestlohn bewegen werden. In etwa so, wie sich bei jedem neuen Mietvertrag die Miete pro qm erhöht.
Neben diesen relativ leicht erkennbaren Problemen (zumindest aus der Perspektive der Arbeitenden) gibt es noch andere sachliche Probleme, die wir uns als Gesellschaft mit solchen rhetorisch perfide angesetzten Ideologieversatzstücken einhandeln, mit denen das politische Publikum gegen seine Interessen genudged wird.
Dass diese Paulus Line in der SPD so mächtig ist, das ist mindestens verwunderlich. Von Aussen betrachtet könnte man jetzt abwertend sagen: Die drehen sich einfach im Kreis und sind doof. Aber das ist es offensichtlich nicht.
Das ist sicher nicht selbstvergessene Dummheit. Das ist unleugbar sehr bewusste, offen angekündigte Strategie einer Arbeiterpartei, die komischerweise seit mind 25 Jahren so handelt als wäre sie von der INSM infiltriert und letztlich übernommen worden.
Ich meine, Leute: Die SPD hat den ganzen Bums mit der Agenda 2010, also letztlich die Erpressung großer Teile der Arbeitenden mit dem Existenzminimum, möglich gemacht, um so einen stabilen und ausbaufähihen Niedriglohnsektor zu etablieren. MIT ANSAGE!
Nun haben wir 2023/2024 und das Publikum, das weder versteht was da mit ihm passiert, noch ein so gutes Gedächtnis hat, wie die Parteien, ist verzweifelt. Verzweifelt, weil es den Zusammenhang nicht vorgeführt bekommt, in dem - in diesem Fall - die SPD sehr stringent Entscheidungen trifft. Auf diesen Zusammenhang würde man zwar nicht kommen, wenn man aus einer Arbeitendenperspektive beobachtet, aber er ist damals offen kommuniziert worden und ist seit dem im wesentlichen unverändert.
Der Journalismus scheint sich auch systematisch eher für politisches Handeln in einem tagesaktuellen Kontext auf dem Level von Feuilleton zu interessieren. Dann fällt natürlich die Stringenz in den Entscheidungen der SPD nicht so auf, zumal alle wichtigen Entscheidungen als eigentlich nicht gewollte, aber eben der aktuellen Situation geschuldeten Entscheidungen präsentiert werden.