Mittwoch, 13. Dezember 2023

Über Faulheit, Moral, Idealisierung des eigenen Wissensbestandes und den Verlust von Weltbezug in der Politik und beim Publikum.

Das Problem ist ja, dass die Parteien in Deutschland schon lange nicht mehr miteinander über Themen reden & versuchen, zum Allgemeinwohl einen gemeinsamen, abgewogenen sachlichen Kompromiss zu entwickeln. Stattdessen wirft jede Partei der anderen einfach (quasi unabhängig vom Thema) vor, Deutschland schädigen zu wollen. (Kommentar zu X-Post https://twitter.com/christorpheus/status/1735009355425030302?t=9HjLHS0ztlO9QNvaI6dA9g&s=19)

Das ist natürlich einfach, weil man sich dann nicht über sachliche Details den Kopf zerbrechen muss, sondern einfach die groben Claims zum Thema aufruft und den anderen unterstellt, sie wollten aus niederen Beweggründen Deutschland schaden.
Die dazu gern genommenen Quasi-Mafiageschichten, die man um politische Situationen erzählt, kann man als Redner klarerweise besser improvisieren, als einen sachlichen Beitrag, der auf einen konkreten Beitrag der Gegenseite eingeht und dabei noch Offenheit für einen abgewogenen Kompromiss beinhaltet. Es ist einfacher, sich mit Kriegsgeschrei in einen Krieg zu stürzen, als mit abgewogenen Kompromissen einen Krieg zu beenden.

Das Niveau politischer Kommunikation, die heute im Wesentlichen mit Beiträgen arbeitet, die an schlechte Satirepointen, Predigten oder plump abwertende Facebook-Posts erinnern, begründet sich sicher darin, dass die oben angedeutete kognitive Faulheit politischer Redner ebenso der Faulheit, aber auch der Entertainmentlust des Publikums entgegenkommt.

Sachliche Argumentation durch moralische, also quasi zur Unperson erklärende Kommunikation zu ersetzen, ist ungleich voraussetzungsärmer und dabei stimmungs- & unterhaltungsreicher.

Das Problem ist nur, dass das die Gesellschaft in extrem angespannte, konfliktsensible Situationen bringt. Wenn Parteien beginnen, sich in moralischen Kategorien anzugreifen, also sich quasi zur Unperson oder Ungruppe erklären, bringt das natürlich die Bereitschaft für Kompromisse auf null.

Und nicht nur das. Die öffentliche Meinung schickt sich im Kampf zwischen akzeptablen und unakzeptablen Personen, Identitäten oder Gruppen sozusagen auch inhaltlich auf die falsche Fährte.

Der Kampf macht, wie oben angedeutet, unselbstkritisch, weil Selbstkritik im Zweifel dem Gegner zugute kommen würde. Selbstkritik würde aus der Perspektive die Kohäsion der Gruppe gefährden.
Unter den Umständen wird häufig das eigene Wissen idealisiert, um es vom Wissen der Gegner abzugrenzen. So wird logischerweise eine Art Entweder-Oder-Gegenüberstellung der Gruppen forciert, die jegliche Innovation in den Wissensbeständen der sich gegenüberstehenden Gruppen behindert.
Es geht inhaltlich schnell nicht mehr um eine bestmöglich differenzierte Perspektive auf die Gesellschaft, sondern um eine schnell Resonanz erzeugende Perspektive, die sich vor allem gut von den anderen abgrenzt. Nachvollziehbarer Weise verliert dann in dieser Weise akkumuliertes Wissen den Weltbezug.

Interessant und auch sehr problematisch ist, dass der sich unter den genannten Bedingungen ausdünnende Weltbezug nicht als solcher erkannt wird. Die starke gruppenbezogene Idealisierung des eigenen Wissensbestandes behindert die Selbstkritik, macht unfähig (auch mit sich selbst) Kompromisse einzugehen und man schwört sich darauf ein, dass der eigene Wissensbestand alternativlose Realität sei. Schließlich bedeutet Widerspruch zum eigenen Wissensbestand eben auch Gegner zu werden, ist also sozial mit den härtesten Konsequenzen verbunden.

Man kann das alles so beobachten. Es ist nicht so, dass es schwer ist, der Politik fortgeschrittenen Realitätsverlust oder Dummheit vorzuhalten. Nur vielleicht ist es eben mehr ein Problem der Faulheit von Politik und Publikum, das zu moralischer, also den anderen zur Unperson/Ungruppe erklärende Kommunikation verleitet, was wiederum Konflikte provoziert und in dem Maße dann unselbstkritisch macht, zur Idealisierung des eigenen Wissensbestandes führt und man dabei nicht sieht, dass das eigene Wissen mehr mit dem Gegner zu tunhat, als mit der Welt. 

Ein Drama, wenn ein in dieser Hinsicht getrübter Weltbezug die Gesellschaft irreführender Weise über ein Klippe hinweg laufen lässt.