Mittwoch, 15. Juli 2009

Über Gurus, autoritäre Systeme und selbsterzeugte Abhängigkeiten

Vor nicht allzu langer Zeit war ich aus persönlichen Gründen als Aussenstehender bei einem Yogaausbilderseminar über eine Woche zu gegen. Dort sieht man Menschen, die ziemlich intensiv in einem seltsamen Glaubenssystem aufgehen und sich diesem verschreiben. Seltsam ist für mich schon, das alle dort in weißer Uniform rumlaufen. Aber wenn man dann sieht wie die Tage dort verbracht werden, dann kann meiner eins nur immer weiter staunen. Das mag alles Geschmacksache sein, aber an einem Punkt hat sich bei mir deutlicher Widerstand geregt. Und dieser Punkt betrifft die Art der Verwendung meditativer Übungen. Natürlich folgen nun die Worte eines Aussenstehenden, der das alles nur stark eingeschränkt beurteilen kann (und der vor allem diesen Sachverhalt hier der Deutlichkeit wegen leicht überzeichnet darstellt), aber trotzdem möchte ich meinen recht deutlichen Eindruck doch irgendwie formulieren, das nämlich Gurus merkwürdig mit Phänomenen des Bewusstseins umgehen.

Nicht das ich sonst etwas gegen Yoga habe. Zunächst sehe ich darin eine Art meditativ unterstütze Leibesertüchtigng. So weit so gut. Körperliche Übungen und das arbeiten an und mit seinem Bewusstsein empfinde ich als sehr sinnvoll. Ich habe nur ein gewisses Problem mit autoritären, ideologiebasierten Systemen. Und dieser "Yogaverein" scheint mir ein Paradebeispiel für so ein System zu sein. Und zwar eines das auf interessante Weise weiter geht als die aus dem Alltag bekannten autoritären Systeme. Hier werden Menschen systematisch zu Meditationen, zu Trancezuständen angeleitet und diese werden dann mit der hauseigenen Mythologie und Ideologie (v)erklärt und verbunden. Warum ich das so "geschmacklos", zumindest aber peinlich finde möchte ich nun kurz beschreiben. Das Motiv dieses Textes ist nicht etwa Yoga generell zu verdammen. Das verwendete Beispiel macht es mir nur sehr einfach ein "Guru-Problem" prägnant zu beschreiben. Ähnlich gelagerte Probleme kann man aber, teilweise in noch unangenehmerer Form, in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft beobachten. Dieses "Guru-Problem" hier mit einem Beispiel so darzustellen, das es leicht möglich ist es aus diesem konkreten Beispiel zu lösen und es als mögliches allgemeineres Problem zu beobachten, das ist eher das Motiv dieses Textes.

Also nun in plane words: Da ist also diese Yogaorganisation. Und neugierige und sinnsuchende Menschen, die sich für Yoga interessieren kommen zu dieser Organisation die den Rahmen für diese Yogaveranstaltungen inszeniert. Was dort passiert kann ich kurz wie folgt beschreiben. Vorne steht ein Guru und leitet die Menschen zu meditativ wirkenden Übungen an. Den Rezipienten wird so durch meditative Übungen eine (in unserer Kultur leider krassenstens unterbelichtete) Seite ihrer Selbst vorgeführt. Und dann steht da vorne wie gesagt tatsächlich dieser Papaschlumpf in weißem Turban und erzählt den Rezipienten, das die selbsterzeugten Trancezustände in die sich die Rezipienten begeben, etwas mit einer alten (für mich völlig unverständlichen) Yogamythologie zu tun haben. Das empfinde ich irgendwie generell abstossend. Egal auch um welche Mythologie, Genealogie oder Ideologie es sich konkret handelt. Irgendwie habe ich das Gefühl das ist perfide.

Da sind wirklich ernsthaft sinnsuchende Menschen, die nach mehr oder weniger langer Zeit ihrem eigenen Körper vorgestellt werden. Und dann steht da so ein Pascha und erklärt den Beteiligten, das ihre Phänomenwelt mit etwas zu tun hat, das schon längst verstanden und bewertet wurde und das man als Schüler jetzt nur noch lernen muss alles eben "richtig" zu verstehen. Das gibt den Rezipienten auf der einen Seite zwar das beruhigende Gefühl einer erlebnisgestützen und neuen Erklärung ihrer Phänomenwelt, auf der anderen Seite versetzt es den Guru in eine Situation in der nun alle an seinen Lippen kleben (weil er sozusagen der Verkünder, der Chefausleger, sozusagen der Inquisitor der erklärenden Mythologie ist). Und das perfide daran: sie kleben letztlich an seinen Lippen um durch den Flaschenhals seiner Mythologie mehr über sich selbst zu erfahren. Der Guru bemächtigt sich so sozusagen partiell der unreflektierten Seite der Rezipienten (und lässt sich so als Lehrer feiern).

Indem der Guru dem Rezipienten eine Seite des Rezipienten beschreibt, die dieser von sich noch nicht kennt und dadurch das er dem Rezipienten vermittelt es gäbe ein nicht-zu-bezweiflendes Wissen um seine Erlebnisse, das der Guru (bzw. das (Ritual-)System, nicht aber der Rezipient selbst) vermitteln kann, gerät der Rezipient in eine Situation in der er Fragen, die er nur an sich selbst stellen kann (und das auch hin und wieder mal versuchen sollte) dann an den Guru richtet. Der Rezipient wird zum Schüler. Ich möchte es nochmal sagen: Das perfide daran ist, das der Schüler dem Guru sozusagen die Erklärungshoheit über bestimmte Teile seiner eigenen Phänomenwelt zuschreibt und dieser das dann nutzt um den Rezipienten als Schüler (und/oder Lehrer) dauerhaft und umfassend an sich und sein System zu binden.

Selbst wenn der Schüler sich dann von seinem Guru löst, so bleibt er unter Umständen an der Idee hängen, das es da Fragen gibt, die eine externe Instanz (und wenn es die Welt an sich ist) schon beantwortet hat (als ob es in der Welt Antworten gäbe, so wie es Steine gibt). Deshalb verstehe ich es auch als eine Farce, das in einem solchen System die Schüler dazu angeleitet(!) werden die "Wahrheit" in sich selbst zu finden (zumindest solange sie in ihrem Verhalten die traditionelle Form nicht kritisieren/ändern).

Die Vorstellung in einer schon erklärten, erkannten und bewerteten (Second-Hand-)Welt zu Leben, in der man nur noch informiert, bzw. angeleitet wird, das scheint für viele kein Schreckensszenario, sondern ein mögliches und vor allem anzustrebendes Ziel. Allem und jedem könnte man dann endlich wieder seinem ihm eigenen Platz zuweisen. Wenn wir Recht haben, dann wird eine solche Ordnungsvorstellung aber nie wirklich "wahr" gewesen sein, sondern sie war immer nur eine gerade noch erträgliche Vereinfachung der Welt, die heute allerdings deutlich unzumutbare Konsequenzen hätte.

Nun gibt es in diesem oder ähnlichem Sinne autoritäre Systeme in vielfacher Form. Im allgemeinen ist noch auffallend, das solche Systeme in hohem Maße ihre Kommunikation so anlegen, das deutlich das Gute gegen das Schlechte abgegrenzt wird. Das scheint mir die Stelle zu sein an der diese Organisationen um Vertrauen ringen. Nach dem Motto: Auch wenn Du als Mensch immer im Ungewissen bleibst. Bei uns kannst Du wenigstens sicher sein: es geht ums das Gute!

Die Annahme das das Gute gut ist und das Schlechte schlecht ist, hilft uns scheinbar die vielen Unentscheidbarkeiten im Alltag ohne großen kognitiven Aufwand trotzdem zu entscheiden und Vertrauen zu schenken (wo wir nicht Wissen können). Diesen Effekt nutzen nun nicht nur autoritäre Systeme. Am Beispiel: die Welt-Yoga-Organisation heißt 3HO (happy holy healthy Organisation). Solche Systeme programmieren alles auf einen scheinbar rationalen Konsens (über quasi alles, was auch immer das Konkrete sein mag). Wer will schon sick, sad und satanic sein? Und was (oder wer?) spricht schon gegen das Gute oder was spricht dagegen sich belehren zu lassen wie man das Gute erreicht? Wer etwas dagegen hat, der ist dadurch schon dubios. Und an dieser Stelle merkt man wie mächtig die Unterscheidung von Gut/Schlecht die Menschen auf Linie halten kann, wenn die Unterscheidung für "real" gehalten wird.

Etwas sehr merkwürdiges an der Unterscheidung von Gut und Schlecht ist für mich, das für jeden klar ist (wirklich für jeden!), das er das Gute möchte. Das Gute scheint von Zweifel zu befreien. Nun ist das Gute und das Schlechte, aber ein kulturell bedingtes Schema. D.h. man kann also als einzelnes Bewusstsein aus sich selbst heraus garnicht wissen was gut oder schlecht "ist"; ja nicht einmal ob die Verwendung der Unterscheidung Gut/Schlecht selbst gut oder schlecht ist! Auch wenn es im Nachhinein noch so verführerisch danach aussieht, als ob wir wissen können und sogar wissen sollten was gut oder schlecht ist. Die Unterscheidung Gut/Schlecht ist letztlich ein interessantes rhetorisches Instrument, mit dem man sehr schnell, sehr weitreichend und vor allem recht voraussetzungarm Konsens herstellen kann, auch wenn es für den einzelnen keine Nachvollziehbarkeit in der Thematik gibt. Die Menschen müssen nur glauben, das es das Gute und das Schlechte gibt. Man könnte sagen: dann verführen sie sich selbst ständig dazu sich von kognitivem Aufwand zu entlasten.

Und so kann man auf die Idee kommen, das Gurus die Unterscheidung von Gut/Schlecht nutzen um die Urzweifel an etwas nicht nachvollziebaren zu überwinden. Mit Urzweifel meine ich hier das uns allen mehr oder weniger gemeine Gefühl, das alles zumindest anders sein könnte. Aber mit diesem quasi moralischen Gut-Böse-Trick gewinnen Organisationen offensichtlich das Vertrauen der Menschen, so das diese die Interpretationshoheit ihrer Phänomenwelt weitgehend abgeben.

Die anderen für mich eher sekundären "Schnörkel" eines autoritären Systems z.B uniforme Kleidung usw. finde ich eher weniger interessant. Viel interessanter finde ich an solchen Systemen wie z.B. durch Gebete, Gesänge, Textstudium usw. bestimmte Zustände im Rezipienten provoziert werden, die ihm der Guru dann erklärt als schon gemachte und von ihm erklärbare Erkenntnis. Wenn dem Guru das gelingt, dann kann er unter solchen Voraussetzungen den Schüler vermeindlich besser verstehen als der Schüler sich selbst. Hier werden krasse Abhängigkeiten konstruiert! Man könnte nun sagen das jegliche Lehrer/Schüler-Verhältnisse (und vergleichbare Schemata z.B. Patron/Klient, Autor/Rezipient) , auch die in der Wissenschaft mit solchen "Informationsasymmetrien" spielen. Entscheident finde ich hier aber den Hinweis darauf, das in nicht-autoritären Systemem (z.B. in der Wissenschaft) dem Schüler (oder Klient oder Rezipient) selbst die Möglichkeit eingeräumt wird, die Spielregeln des gesamten Systems zu verändern und zwar gerade nicht indem er von einem Mufti ex cathedra ernannt und eingesetzt wird, sondern indem er (z.B. in der Mathematik oder Physik) Beweise führt, oder indem er eine neue Theorie formuliert, die die beobachteten Phänomene besser beschreibt als das zuvor möglich war. Wenn neue Argumente Resonanz finden, dann kann sich ein nicht-autoritäres System komplett (wenn man so will von unten) verändern. Bei autoritären Systemen ist das anders. Diese werden entweder akzeptiert oder abgeschafft; Veränderungen wären quasi Verrat an der guten Sache.

Die wechselseitigen Abhängigkeiten zu denen es in autoritären Systemen kommt finde ich hochspannend, weil dadurch offensichtlich starke Bedürfnisse im Menschen befriedigt werden sich als Lehrer beziehungsweise Schüler zu identifizieren und so zu beruhigen. Ich verstehe irgendwie, das soetwas gewissen Vereinfachungsbedürfnissen der Menschen entgegenkommt. Gerade deswegen sei aber abschließend eher warnend darauf hingewiesen: Die Menschen die eine Wahrheit suchen, die finden auch jemanden der sie ihnen erklärt.