Samstag, 27. Juni 2009

Über ungenutze Tode, abzuschießende Flugzeuge und den Menschen als Mittel zum Zweck

Unser aktueller Verteidigungsminister (F.J.J.) spricht im Bezug auf gefallene Soldaten in der Öffentlichkeit von "einem Tod, der nicht umsonst gewesen sein dürfe" (vgl. Welt.de, und viele andere Quellen). Für mich ist das nicht nur geschmack- und verantwortungslos. Es ist für mich, um es deutlich zu sagen, ein Hinweis auf eine verfassungsfeindliche Ideologie. Das möchte ich im folgenden kurz Begründen.

Dem Tod einen Sinn geben. Macht es überhaupt Sinn dem Tod Sinn zu geben? Und wenn ja welchen Sinn wollen wir (wir alle?) dem Tod denn geben? Und wer soll soetwas einfordern? Was meint ein Politiker, wenn er den Tod von Soldaten kommentiert mit der Aussage: der Tod dieser Soldaten dürfe nicht umsonst gewesen sein?

Es ist nachvollziehbar, das Politiker daran interessiert sind den Angehörigen von gefallenen Soldaten und den jeweils Betroffenen klar zu machen, das der Tod ihrer Lieben einem höheren Sinn, nämlich dem Dienst an einer guten Sache geschuldet sei. Es geht meiner Ansicht nach aber zu weit, wenn Politiker den Tod von Soldaten als öffenltiches Argument für eine generelle "weiter so"-Rhetorik, oder eine "jetzt erst recht"-Rhetorik benutzen, um eine kriegsähnliche Situation zu rechtfertigen (weil so nicht nur die Soldaten auf merkwürdige Weise bevormundet werden)

Die dahinterliegende Zweckrationalität in der Menschenleben als Mittel für einen Zweck eingesetzt werden wirkt auf mich öbzön, und um dieses Gefühl etwas klarer darzustellen entwerfe ich diesen Text. Sicherlich kann man die rhetorische Figur des Todes der nicht umsonst sein darf, als eine hilflose oder harmlose Art und Weise abtun und unbeachtet lassen. Auf der anderen Seite wirkt eine solche Aussage auf mich aber derart morbide, das ich mir hier die Zeit nehme meine zugegebenermaßen etwas diffusen Gedanken dazu aufzuschreiben.

Zur Erinnerung an die Person F.J.J. (und für eine spätere kurze Bezugnahme) möchte ich vorweg noch eine andere Geschichte mit ins Spiel bringen. Es handelt sich bei F.J.J. um den Poilitiker, der sich vor nicht allzulanger Zeit per Gesetz im voraus erlauben wollte Zivilisten zu töten um Zivilisten zu retten (Bsp. Flugzeugentführung). Das Problem dabei war nicht, das ein Politiker soetwas (etwa den Abschuß eines entführten Flugzeuges) im Einzelfall nicht anordnen kann. Weil es aber um Menschenleben geht, kann er sich diese "Güterabwegung" nicht im vorraus, sozusagen pauschel absegnen lassen (Die Würde des Menschen, ... bla bla bla... und Sie [die wohl nicht ganz so unantastbare Würde] zu schützen ist Aufgabe des Staates.)
Das bedeutet: in einer gegebenen Grenzsituation wird von einem Politiker erwartet, das er (wenn es im Allgemeinwohl liegt) im Zweifel auch gegen Gesetze verstösst (vgl. z.B. Helmut Schmidt, Flutkatasprophe). In einer solchen Situation muss der Politiker sein Handeln gewissermaßen mit seinem Gewissen verantworten, ohne vorher einen Freifahrtschein für kritische Situationen erhalten zu haben. Er muss sich rechtfertigen können! Und deswegen kann er erst im Nachhinein (wenn es dann zum Prozess kommt), evtl. darauf hoffen, das ihm ein entschuldigender (ein sogenannter übergesetzlicher) Notstand zu gute gehalten wird (wenn es der Souverän denn danach als sinnvoll erachtet).
Ein Politiker darf sich nach unserer Verfassung nicht selber im Voraus legitimieren gesetzeswidrig zu handeln (und sollte auch verstehen warum), weil er nämlich damit den Gesetzesverstoß sozusagen zum Programm machen würde. Der Gesetzesverstoß wäre dann kein Gesetzesverstoß mehr, sondern eine legalisierte Verfassungswidrigkeit.
Aber selbst wenn man diesen Punkt nicht versteht und außer acht lässt, könnte man über folgende Fragen auf ein grundsätzliches Problem stoßen: Wie sollen denn Kriterien aussehen, die in allgemeiner Weise formulieren unter welchen konkreten Bedingungen im Einzelfall eine sinnvolle Güterabwegung zwischen Zivilistenleben zu treffen ist? Müssten diese nicht so allgemein formuliert sein, das sie wahrscheinlich für den konkreten Einzelfall entweder zuviel oder zu wenig Spielraum geben? Was wäre dann der Sinn einer legalisierten Verfassungswidrigkeit, außer das man einen Verfassungsbruch legalisiert hätte? Ein unnötiges und gefährliches Risiko wäre auf jeden Fall, das in kritischen Situationen zu schnell fertige Entscheidungen aus der Schublade geholt und abgesegnet werden, ohne Gehirn und Gewissen über die Maße zu beanspruchen. Der in extremen Momenten erzwungene Blick auf die Verfassung und der Blick auf das Wohl und den Willen der Bevölkerung würden in dem Maße vernachlässigt in dem eine Extremsituationsbewältigung per Gesetz zu einer im voraus definierten Routine erstarrt.
Schon theoretisch ist klar: Die Zukunft ist ungewiss, nicht vorhersagbar und schon deswegen kann man nicht alle für die Zukunft wichtigen Entscheidungen schon heute formalisieren, also vorwegnehmen. Und wenn man das tut, dann verzichtet man nicht nur in dem Maße auf die Möglichkeit sich anzupassen, sondern die Gesellschaft würde auch darauf verzichten ihre Politiker in (demokratisch dringend notwendige!) "Rechtfertigungsnotstände" zu bringen. Das heißt nicht das wir in Extremsituationen auf Routinen verzichten können (Deswegen gibt es Übungen für Katastropheneinsätze). Es soll nur darauf hingewiesen werden, das wir gerade in Extremsituationen einen erhöhten Bedarf haben uns an der konkreten Situation am aktuellen Kontext zu orientieren. Dieser Orientierungsbedarf kann nun nicht vorab sinnvoll in einem Regelsystem formuliert werden (und sollte es auch nicht, denn sonst verliert der Begriff Orientierung seine hier gemeinte Bedeutung). Es ist sinnvoll das man Politiker in solchen Situationen dazu zwingt (!) im Ungewissen zu handeln. Denn nur so ist zuverlässig zu gewährleisten, das sie in ihren konkreten Entscheidungen die Chance haben den Blick auf die Verfassung und den Blick auf den Willen und das Wohl der Bevölkerung zu berücksichtigen (vgl. Deutschlandfunk, 2009, min. 18:20 - 23:22).

Aus verschiedenen Gründen klingt es sinnvoll, das es keine Kritereien geben kann (und auch nicht geben sollte) die es rechtfertigen Verfassungswidrigkeiten zu legalisieren; und das die Verfassung nur deshalb überhaupt die Möglichkeit eines entschuldigenden, übergesetzlichen Notstandes (im Nachhinein) einräumt. Damit nämlich in schwierigen Situationen, wenn es keine vorgefertigten Regeln mehr gibt, das Gewissen Verantwortung übernehmen muss. Könnte ein Politiker durch das (wie immer geartete) gedankliche Vorwegnehmen eines zukünftigen übergesetzlichen Notstandes, einen zukünftigen Gesetzesverstoß schon heute per Gesetz legitimieren, dann würde es nicht um einen übergesetzlichen Notstand gehen, sondern um ein Fall von übergesetzlicher Politik. Die Zeit für einen Prozess im Nachhinein ist vielleicht das einzige, was man für Extremsituationen im Voraus festlegen kann, bzw. planen sollte. Schon weil es unmöglich ist alle nötigen Entscheidungsoptionen heute schon für die Zukunft festzulegen ist es naiv, wenn nicht verantwortungslos und gefählich den Versuch zu unternehmen sich solchen zukünftigen problematischen Entscheidungen und damit verbundenen Prozessen schon heute zu entziehen. Diese Ungewissheit in Bezug auf zukünftige Entscheidungen tragen und bewältigen zu können, sich vielmehr im Bewusstsein des Allgemeinwohls in Extremsituationen seinem Gewissen zu verpflichten und dabei zu ertragen, das man sich dafür (vielleicht vergeblich) erst im nachhinein rechtfertigen muss, das könnte man im Effekt wohl als Verantwortung eines Politikers beschreiben (Im Prinzip kann ein Politiker sich ja auch nur so zu einem Helden machen; wie das z.B. Helmut Schmit gezeigt hat)

Nun, zurück zu unserem ideologieverdächtigen Anfangsbeispiel rhetorischer Armseligkeit. Dieser Verteidigungsminister F.F.J, der es sich in seinem Amt - bis an die Grenzen der Verfassungsverträglichkeit - bequem machen wollte und so nicht gerade durch einen subtilen Umgang mit, bzw. einem profunden Bewusstsein von Verantwortung aufgefallen ist; dieser Verteidigungsminister sagt uns also (wie anfangs erwähnt) auf den letzten Trauerfeiern zum Gedenken an die jeweils gefallenen Soldaten, das der Tod dieser Soldaten nicht umsonst gewesen sein darf. Ich frage mich nun: was soll das bedeuten? Was will er uns damit sagen?

Der Tod dieser Soldaten darf nicht umsonst gewesen sein, ...
1. jetzt erst recht und mit energischeren Mitteln in die Kampfeinsätze?
2. jetzt nur durchhalten?
3. jetzt aber schnell raus aus den Kampfeinsätzen?
4. jetzt langsam zurückziehen?

Diese vier Optionen fallen mir grad mal ein. Es ist zu erwarten, das es F.J.J. um die Fälle 1 und 2 geht und das er die Zuhörer vor die rhetorische Frage stellt: Wer ist für die Verschwendung von Menschenleben? Wer ist dafür, das der Tod der Soldaten umsonst war? Und wer dagegen ist den Tod der Soldaten zu verschwenden, der ist ja wohl auch für Option 1. oder 2., oder? So selbstverständlich ist das aber für mich nicht. Im Vordergrund scheint mir hier ein moralisches Argument in Form einer rhetorischen Frage zu stehen.

Interessanter wird es, wenn man sich das Ganze mal etwas allgemeiner überlegt und sich fragt: wie sieht eine Situation aus in der einer zum anderen sagt: das und das darf nicht umsonst gewesen sein. Ein solches Szenario könnte etwa so aussehen: Es gibt zwei Parteien. Beide Seiten (der eine und der andere) arbeiten gemeinsam (aber mit unterschiedlichen Einsätzen und Mitteln) an einem Zweck. Für unser Beispiel kann man sich auf der einen Seite die Regierung und auf der anderen Seite die Bevölkerung vorstellen. Zweck ist: Kampf gegen das Böse für das Allgemeinwohl (z.B. Ressourcensicherung). Mittel sind: Bewaffnete exterritoriale (bzw. territoriale) Kampfeinsätze. Etwas vereinfacht könnte man nun sagen, das die Regierung die Organisation und die Bevölkerung die konkreten Menschen, also das Engagement für eine solche Zweck/Mittel-Konstruktion zur Verfügung stellt. Was den Regierungen dabei immer wieder auffällt ist: das Engagement der Bevölkerung sinkt in dem Maße in dem Menschen getötet werden. Die Geschichte zeigt nun eine unglaubliche Bandbreite politischer Rhetorik, die sich genau diesem Problem widmet. Im wesentlichen geht es dabei um Angst. Nicht aber hier, in unserem Beispiel. Hier geht es nicht direkt um Angst. Eher geht es um eine Art moralischer Überzeugung. Es geht darum mit Worten eine Welt anzudeuten, in der eine gewisse Rationalität platzgreift. Solange nicht allzuviele Tote Soldaten vorkommen, kann man wohl die "Überzeugungsschiene" benutzen. Die Geschichte zeigt aber, das bei erhöhten Todeszahlen der Anteil von Angstrhetoriken im Verhältnis zu Rhetoriken der moralischen Überzeugung zunimmt. Das steht uns wohl erst noch bevor. Wenn bei steigenden Totenzahlen, die Angstrhetoriken das Zepter übernehmen, dann ist zu vermuten, das es direkter darum geht die Soldaten (insbesondere die gefallenen/gescheiterten) als unverstandene Helden, als Retter des Allgemeinwohls zu feiern und zu ehren (vgl. z.B. Rambo I-IV. ; was ich meine wird besonders deutlich, wenn man daneben das arabische Gegenstück zu Rambo I-IV betrachtet). Verehrung ist scheinbar noch schwerer zu widerstehen als intellektuelle Honig-um-den-Bart-schmiererrei. Die Ausprägungen hängen aber auch damit zusammen ob und wie eine religiöse Prägung in der Bevölkerung vorhanden ist und wie nah oder entfernt die zu bekämpfende Gefahr wahrgenommen wird.

Auf den nächsten Zeilen möchte ich nun andeuten, was ich mit den eben angedeuteten "gewissen Rationalitäten" meine und wie ich versuche diese Rationalitätskonzepte zu verstehen, die durch eine Aussage wie: "Der Tod der Soldaten darf nicht umsonst gewesen sein" provoziert werden. Wichtig ist hier der Begriff umsonst, der in dieser rhetorischen Figur eine wichtige und seltsame Doppelrolle spielen kann.

Zum einen vermittelt sich der Begriff "Umsonst" über Schemata wie umsonst/ertragreich, oder vergeblich/zweckerfüllend, die sich auf Handlungen beziehen. Auf dieser Ebene wird eine sinnvolle Zweckentscheidung impliziert, die vor die scheinbare Wahl stellt: Möchte ich den Tod von Soldaten (Menschen) verschwenden, oder zweckerfüllend und damit ertragreich einsetzen.
Zum anderen kann sich der Begriff "Umsonst" auch über Schemata wie umsonst/erkauft oder kostenlos/Preis vermitteln. Auf dieser Ebene kann man darauf hinweisen, das das (worum auch immer es geht) nicht umsonst zu haben ist und das wir schon längst abhängig davon sind Preise zu bezahlen. Und wegen dieser Abhängigkeiten von dem was einen Preis hat, besteht wiederum nicht die Wahl keine Preise zu zahlen; bzw.: es wird angedeutet, das eine Entscheidung den Preis nicht zu zahlen letztlich einen noch unerwünschteren Preis (inklusive des Verlustes des schon vorher bezahlten) zur Folge haben würde.

Beiden Arten von Schemata ist gemeinsam, das sie eine gewisse Zweckrationalität im Bezug auf den Einsatz von Mitteln anregen. Nicht das ich ein Problem mit Zweckrationalitäten habe. Ich fühle mich nur ganz auf der Seite des Verfassungsgerichtes, das den Einsatz von Zweckrationalitäten im Bezug auf Leben und Tod von Menschen schlicht verbietet. Das (auch) unser aktueller Verteidigungsminister diesem Punkt wiederholt widerspricht, das macht mir gelinde gesagt etwas Sorge. Offensichtlich vertritt er an diesem Punkt deutlich verfassungswidrige Positionen. Man muss ihm allerdings zu gute halten, das es keine einfache Aufgabe ist plausibel darzustellen, das man mit einer "Verteidigungsarme" in exterritoriale Kampfeinsätze verwickelt ist. Da sind Verfassungsprobleme sozusagen vorprogrammiert. (In diesem Sinne könnte unser Verteidigungsminister eigentlich froh sein, das die Medien ihm den Eiertanz um das Wörtchen Krieg als Surrogat für die Erklärung von Verfassungsproblemen anbieten und abnehmen. Statt dessen poltert er mit deutlich verfassungswidrigen Ideologien durch den Porzellanladen und gibt damit zu verstehen, das er garkein Porzellan sehen kann. So fordert er die Medien quasi heraus direkter nach Erklärungen für Verfassungsprobleme zu fragen (Was natürlich nicht schlecht ist, aber wahrscheinlich weniger in seiner Intention liegt. Oder vielleicht doch?)

Mit einem Verweis auf das Beispiel, mit dem ich Anfangs an die Person F.J.J. erinnert habe möchte ich hier mein Gefühl andeuten (und damit dem einleitenden Beispiel Sinn geben), das in beiden Fällen eine verfassungswidrige Ideologie im Hintergrund steht. Eine Ideologie, die über ihre Vertreter gezielt versucht sich über das verfassungsmäßig gesicherte Verbot für Politiker hinwegzusetzen über Leben und Tod von Menschen in Zweck-Mittel-Rationalitäten zu disponieren. (Eine Ähnlichkeit zu noch bekannten amerikanischen Präventivkriegsrhetoriken sei hier nur bemerkt.)

Für meinen Geschmack sollte Politik den Einsatz von Leben und Tod (zumindest aber den Tod) der Menschen nicht mit dem Schema umsonst/ertragreich, oder vergeblich/zweckerfüllend beurteilen. Schon garnicht in der Form, das ein Gefühl aufkommt von "Der Einsatz von Menschenleben oder Toden muss sich lohnen". Das empfinde ich schon nicht mehr als zynisch, sondern deutlich als obzön. Auch wenn es für einen Politiker noch so verführerisch sein kann sich so zu äußern, eine solche Beurteilung steht nicht in seinem ermessen (das sollte er merken).