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Grunsätzlicher Unterschied: daß wir begonnen haben Organisationen aufzubauen, die sich von den Parteistrukturen unterscheiden dadurch, das in unseren Organisationen keine Berufspolitiker tätig sind, das bei uns kein Aparat entsteht, das bei uns die Interessen und die Bedürfnisse, der an der Institution beteiligten repräsentiert sind. Während in den Parteien ein Aparat vorhanden ist, der die Interessen der Bevölkerung manipuliert, aber nicht Ausdruck dieser Interessen ist.
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Ich geh davon aus, das der Mensch nicht dazu verurteilt ist dem blinden Spiel der Zufälle in der Geschichte unterworfen zu bleiben
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Er hat sie schon immer gemacht. Er hat sie bloß noch nicht bewusst gemacht. Und jetzt muss er sie endlich bewusst machen, unter Kontrolle nehmen.
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Er [der Bürger] führt sich [selbst]. Und dieses Problem der Selbstorganisation ist nicht, das ich jetzt wieder Fremde für mich Entscheiden lasse. Wenn ich sage: die Menschen haben ihre Geschichte schon immer gemacht, aber nicht bewusst gemacht, dann soll das bedeuten: Wenn sie sie bewusst machen, dann stellt sich das Problem der verselbstständigten Eliten und der verselbstständigten Aparate nicht mehr. Denn das Problem besteht darin, gewählte Repräsentanten wieder abzuwählen, sie jederzeit abwählen zu können und das Bewusstsein der Notwendigkeit der Abwahl zu haben.
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Es wird nichts vorgezeichnet. Das Vorzeichnen ist ja gerade das Kennzeichen der etablierten Institutionen, die den Menschen zwingen etwas anzunehmen. Unser Ausgangspunkt ist Selbstorganisation der eigenen Interessen und Bedürfnisse. So stellt sich das Problem des Zwangs nicht.
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Wir erheben nicht den Anspruch Gesamtbevölkerung aufklären zu wollen. Wir wissen das im Augenblick, Minderheiten aufgeklärt werden können, aber Minderheiten die geschichtlich die Chance haben Mehrheiten zu werden. Heute sind wir nicht sehr viele [...]
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Wir können nie als Minderheit an die Macht kommen, wollen es nicht und darin liegt unsere große Chance."
(Quelle: Dutschke, R. (1967) zu Protokoll, Günter Gaus im Gespräch mit Rudi Dutschke)
Der Gedanke, den ich im folgenden Text zu entfalten versuche, ist angeregt durch ein Interview von Günther Gaus mit Rudi Dutschke. In sehr kurzen und groben Zügen möchte ich nun diesen Gedanken beschreiben. Es geht dabei für mich um vorstellbare Veränderungen in der Politik (zumindest theoretisch vorstellbar und das beschwichtigt schon mal). Mit dem Stichwort "flüchtige Entscheidungspartei", möchte ich einen etwas anderen Umgang mit politischen Entscheidungen anregen. Um unnötige Abstraktheit außen vor zu lassen, werde ich meinen Gedanken in einer Art Gedankenspiel verpacken.
Also. Man stelle sich vor es gibt ein Internetportal. Auf diesem Portal können Bürger sich äußern welche Entscheidungen sie betreffen. Auf diesem Portal können Bürger kommunizieren welche Entscheidung sie betreffen und gleichzeitig wie sie diese entschieden wollen. Um auf diesem Portal Vorschläge für Entscheidungen zu sortieren, zu reduzieren werden diese Entscheidungen dann von allen anderen Mitgliedern bewertet. Also jeder gibt Ideen ein und jeder bewertet die anderen. So kann aus einem Vorschlagspool von potentiell entscheidbaren Entscheidungen eine Rangordnung gemacht werden. Je nachdem wieviele Bürger eine Entscheidung auch konkret bearbeiten (also durchsetzen) wollen, ist eine Entscheidung entweder hoch oder tief im Ranking. Es macht nun Sinn (um die Kräfte des Portals zu bündeln) sich auf die obersten Entscheidung einer Rangordnung zu beschränken (Weil jede Entscheidung später separat funktionieren muss).
In einem solchen Portal in dem Entscheidungen relevanz gewinnen und bewertet werden, differenzieren sich einzelne Entscheidungen dadurch heraus, das eine Vielzahl von Menschen (mit ganz unterschiedlichen Interessen) einzelne Entscheidungen entscheiden möchten. So formieren sich Menschen um eine Entscheidung (und nicht umgekehrt) und bilden eine "Interessengemeinschaft". Diese Interessengemeinschaft muss nun ihre Entscheidung in der Politik lokalisieren. Es muss also geklärt werden, an welcher Stelle im politischen System diese Entscheidung entschieden wird.
Auf diese Stelle bezugnehmend muss eine Forderung formuliert werden. D.h. es muss geklärt werden wie die Bürger sich im Bezug auf diese konkret gefundene Entscheidung festlegen wollen. Wichtig ist: Diese Forderung bezieht sich nur auf eine, konkret lokalisierte und konkret operationalisierte Entscheidung im System. Da es hier jeweils nur um eine konkrete Entscheidung gehen soll entfällt ein drumrumreden der Entscheider. Eine Forderung kann deswegen sehr konkret und einfach formuliert werden (und ist so sehr einfach auf Zustimmung/Ablehnung abfragbar). Das ist wichtig für die folgende Pointe.
Unterstellt man weiter, das eine viable Anzahl von ambitionierten Bürgern da ist, die genau auf eine konkrete Entscheidung im System zielen und die sich im Voraus verabredet haben, das, bzw. wie sie diese konkrete Entscheidung entscheiden wollen, so können diese Bürger auf die Idee kommen eine Partei zum Umsetzen genau einer Entscheidung zu gründen (deren Wähler dann wahrscheinlich auch Mitglieder wären).
Diese Partei formuliert dann in ihr Parteiprogramm: Es geht jeweils konkret um eine Entscheidung, die so operationalisiert ist, das klar ist ob, bzw. wann das Parteiprogramm umgesetzt ist. Alle anderen politischen Entscheidungen werden aus nachvollziebaren Gründen bewusst ignoriert, egalisiert. Weiter ist im Programm zu formulieren, das die "Partei" sich in dem Moment auflöst, in dem die Entscheidung des Parteiprogramms umgesetzt ist (bzw. direkt nach einer relevanten Legislaturperiode).
Eine "Partei" wird hier sehr schnörkellos als bürokratisches Vehikel zum durchsetzen konkreter Entscheidungen vorgestellt. Eine "Partei" wird nicht mehr gedacht, als ein Zusammenhang von Menschen, die ein gemeinsames Weltbild teilen. Eine "Entscheidungspartei" würde sich im Prozess des Durchsetzens ihrer Entscheidung gerade nicht mehr davon abhängig machen wollen, das ihre Mitglieder in ganz anderen Entscheidungen auch gleich oder ähnlich entscheiden sollten (oder müssten).
Nur mal angenommen eine viable Anzahl von Bürgern würde in dieser Form in der Lage sein, solche flüchtigen Entscheidungsparteien zu installieren, dann gibt es zwei interessante Koalitionsmöglichkeiten.
(1) Eine solche "Entscheidungspartei" kann, gerade weil sie sich nur auf eine einzige Entscheidung kapriziert (und alles andere egalisiert) nun mit herkömmlichen Parteien koalieren, wenn diese sich (um die Stimmen einer "Entscheidungspartei" zu bekommen) bereiterklärt genau diese Entscheidung entsprechend mitzuentscheiden.
(2) Es kann Koalitionen zwischen "Entscheidungsparteien" geben. Es ist nicht uninteressant sich vorzustellen, wie einzelne Entscheidungen (vermittelt über ihre Entscheidungsträger) auf einander reagieren. Ob sozusagen bei einer Kopplung von Entscheidungsprogrammen die Resonanzfähigkeit abnimmt, zunimmt oder gleichbleibt wäre ja eine Frage. Man kann sich so fast eine Art Evolution von Entscheidungsprogrammen vorstellen, die auch zu komplexeren Parteiprogrammen führen könnte. Nicht nur Parteiprogramme, sondern wohl auch das was man dazu "Parteien" nennt würden dann andere Züge tragen.
Das zeigt natürlich auch zugleich, das ein solcher Ansatz traditionell institutionalisierte Parteien nicht einfach überflüssig macht. Bürger könnten sich aber direkter in politische Entscheidungen einmischen und das ist "nur" ein Problem einer viablen Anzahl von Bürgern, die interessiert sind eine Entscheidung politisch zu entscheiden. Unser politisches System ist in dieser Hinsicht doch recht offen. In dem Maße in dem die bürokratischen Verfahren über technische Systeme erleichtert werden, also im Hintergrund vorausgesetzt und ggf. später nachvollzogen werden können, in dem Maße kann Demokratie direkter werden. Zum Beispiel: In dem Moment in dem es eine Möglichkeit gibt rechtlich verbindlich, sozusagen vertragswirsam, elektronisch zu kommunizieren ist der Weg von der Unterschriftenliste bis zur Partei so kurz (zeitlch), das es nur noch darauf ankommt, das ausreichend viele Menschen sich für jeweils einzelne Entscheidungen engagieren wollen. Ideologen, die sich damit beschäftigen "das große Ganze" entscheiden zu wollen, können das weiter tun. Und sie müssen das auch, denn ein Problem ist: das sich daraus ergebende Potenzial Entscheidungen opportunistisch entscheiden zu können, das kann man nicht einfach streichen. Die Frage ist aber, wie weit sich zweckorientierte Entscheidungsparteien an bestimmten Stellen einfach durchsetzen können, wenn sich herausstellt, das man auf das große Ganze hin nicht plausibel konkret entscheiden kann; weil eine Perspektive auf "das Große Ganze", durch dessen extreme Widersprüchlichkeit, immer gleich die Gegenargumente für eine konkrete Entscheidung mitliefert. So blockieren sich ja die ideologisch verbrämten Pauschaldemokraten in den Weltretterparteien. Praktisch kann man alles und zugleich garnichts entscheiden. Es stellt sich in diesem Gedankenspiel schlicht die Frage wann und in welchem Maße Skype und Google, Pontuis und Pilatius einfach vor die Tür stellen.
Interessant finde ich den Ansatz nicht zuletzt deswegen, weil ich das Gefühl habe viele Bürger würden sich lieber für konkrete Entscheidungen einsetzen, als für eine Partei, die dann für die Bürger entscheidet. Schon weil es zu anspruchsvoll geworden ist das Allgemeinwohl plausibel zu kommunizieren und dann auch zu verstehen was gemeint ist (und welche Partei jetzt für die eigenen Interessen zu wählen ist). Das tun natürlich Parteien, die z.B. keine Arbeiter- oder Unternehmen- Parteien mehr sein können, gerade weil sie jeweils das Allgemeinwohl an das eigene Revere gesteckt haben. Für die, die aber ihre eigenen Ideen mit ins Spiel bringen möchten und z.B. schlicht keine Zeit haben sich als Parteisoldat hochzuarbeiten, um dann vielleicht bei einer Regierungsbeteiligung festzustellen, das ja garnicht ohne Parteidisziplin Entscheidungen getroffen werden können (die dann u.U. Entscheidungen verfärbt); Für diejenigen könnte es interessant sein, wenn es um konkrete Entscheidngen geht. Aber auch für diejenigen, die im Bezug auf ihre eigene Lebenswelt, die Rhetorik als langweilig, nichtssagend oder zu hoch generalisiert erfahren, kann es Sinn machen sich für konkrete, einzelne Entscheidungen einzusetzen. Nicht weil sie keinen Widerspruch erfahren würden, sondern weil unter bestimmten Umständen keiner mehr den Umweg über einen traditionellen Parteiaparat braucht. Jeder würde direkt sehen, wie interessant ist meine Idee bei den anderen? Gibt es meine Idee schon im Portal? Gibt es ausreichend Resonanz auf eine Idee?