Mittwoch, 8. Februar 2012

Veränderung, Gedächtnis und Beobachtung

Wie unser Körper eine räumliche Ausdehnung hat, so hat unser Bewusstsein in diesem Körper eine zeitliche Ausdehnung, bzw. Auflösung. Und auch wenn unser Körper eine räumliche Ausdehnung hat, so beobachten wir als Bewusstsein natürlich nicht "räumliche Ausdehnung" von irgendwas im "da draussen", und nicht einmal Ausdehnung in unserem Innen, wenn wir Welt beobachten. Was wir beobachten, das sind ausnahmslos Veränderungen an unserer eigenen Struktur. Die Grundlage unserer Wahrnehmung sind nicht Zustände (wie auch immer  kurzfristige Nichtveränderungen) an denen wir Welt (oder uns) ablesen, sondern es sind immer nur laufende Veränderungen, die wir beobachten können. Wir beobachten keine (am besten noch als eine Art eingefrorene Wirkzustände gespeicherten und abrufbaren) Zustände und vergleichen diese dann (Auch wenn das eine nützliche, wenn auch krass mechanistische und verbreitete Denkvereinfachung zu sein scheint); So wie wir auch nicht eine Melodie wahrnehmen könnten, wenn die einzelnen Töne nicht in unserem Gedächtnis "ineinanderwirken" würden und so retrograd etwas über die Summe der Töne, bzw. irgendwelcher dazu korresponierenden Zustände, in uns provoziert würden. So liegen auch Objekten in unserem Erleben ähnliche Konstruktionregeln zu Grunde, wie Melodien. Sie können nur als konstant, oder sich verändernd (wieder-) erkannt werden, wenn wir Gedächtnis benutzen. Man könnte auch sagen: Ohne Gedächtnis keine Melodie, keine Beobachtung überhaupt; ein Gedächtnis, das uns in gewisser Weise diese Gleichzeitigkeiten des Ungleichzeitigen schafft, uns den Zusammenhang stiftet, den wir brauchen, um z.B. eine Melodie zu verstehen. Das macht das Gedächtnis, indem es mit parallelen Ressourcen arbeitet und uns sozusagen Sequenzen schichtet, übereinanderlegt, uns eine Art "Gleichzeitigkeitsfokus" verschafft, der zu seinen "Rändern" hin in Erwartungen an die Vergangenheit (Erinnerungen) und in Erwartungen an die Zukunft zerfasert und der in seinem Brennpunkt unser jetzt markiert. In diesem "Gleichzeitigkeitsfokus" können wir beobachten, d.h. - frei nach Luhmann, Baecker und Spencer-Brown - wir vollziehen eine dreistellige Operation in einem Schritt, machen also drei Schritte in einem und das laufend. 1. Wir unterscheiden und erzeugen so eine Zweiseitenform (Innen/Aussen, Ding/Medium, what ever) 2. wir bezeichnen eine der beiden Seiten und behandeln die andere Seite erstmal als in diesem Zusammenhang unmarkiert. 3. wir entscheiden (mal mehr, mal weniger kontrollierbar) ob wir den Fokus unserer Beobachtung auf der bezeichneten Seite belassen oder ob wir sozusagen fortscheifen und den Fokus auf die andere Seite legen, usw. Der hier gemeinte "Entscheidugs-" zumindest "Handlungs -druck", den eine Beobachtung immer miterzeugt lässt sich als eine Art Unvollständigkeit der besagten dreistelligen Operation verstehen; So wie z.B. ein einzelner Schritt beim Gehen eine unvollständige Operation ist. Bei einem Schritt lassen wir uns im wahrsten Sinne nach vorne Fallen und müssen dieses Nachvornefallen mit dem nächsten Schritt (wieder nicht vollständig) abfangen, um gehen zu können. Es bleibt offen welche Seite wir im nächsten Schritt bezeichnen (ob wir stehen bleiben oder weitergehen), um uns zu orientieren. Wir bleiben auf basaler Ebene im Prinzip auf Schritte, auf das Weitergehen, auf Veränderungen, auf die nächste Operation angewiesen, um überhaupt retrograd aus unseren Veränderungen (eben nicht aus Zuständen!) auf uns oder auf Welt (letztlich auf Zukunft) schliessen zu können. Stehenbleiben ist also auf der Ebene der basalen Operationen keine Option. Lediglich auf der Ebene auf der wir nicht nur selbst beobachten, sondern auch Produkt unserer eigenen Beobachtung sind können wir in verschiedenen konventionellen Hinsichten stehenbleiben, uns Zustände zuschreiben. Selbst wenn wir das Gefühl haben: "Ja, das ist doch meinem Erleben nach unplausibel, da meine ich sowas wie Zustände (Nichtveränderungen) als Basis meiner Wahrnehmungen zu erkennen. Ich kann doch z.B. stundenlang auf die gleiche Szene gucken, die sich nicht verändert und ich sehe sie trotzdem noch, es verändert sich nichts. Und um überhaupt etwas zu sehen, muss es sich doch in gewisserweise "nichtverändern". Aber selbst das funktioniert nur, weil wir unsere schnellen Augenbewegungen, die immer Veränderungen in unser visuelles System bringen, nicht wahrnehmen. Stellt man unsere Augäpfel wirklich still, so geschehen in Experimenten, dann ist tatsächlich der Fall, dass unsere Unterscheidungsfähgkeit ins Leere läuft und wir nach kurzer Zeit nichts mehr sehen. Objekte in unserem Erleben sind demnach selbst, physikalisch oder sozial provozierte und stabilisierte Redundanzen in unseren Strukturveränderungen, die wir beobachten, an denen wir uns in uns orientieren. Was ich damit sagen will? Keine Ahnung.