Samstag, 8. September 2012

Das Ziegenproblem als Kondensationskeim für Intention, enttäuschte Intuitionen und iterative Interaktion

Für die, die das Ziegenproblem nicht kennen: http://youtu.be/mhlc7peGlGg

Eine Frage, die mich sehr beschäftigt ist: Kann man sich das Ziegenproblem als eine biologisch relevante Konstellation vorstellen? Kann man sich z.B. Konstellationen von Tieren vorstellen, die in diesem Sinne eine Art generelles “Ziegenproblem” vor sich haben? Was wären die Konsequenzen? Kann ein Ziegenproblem gar informationstheoretisch als Sporn beschrieben werden, an dem sich die Ausbildung von Absicht, bzw. Intention ausfällen kann? Ganz allgemein: Kann man sich vorstellen, dass eine Art "Ziegenproblem" biologisch-evolutionär wirksam wird und wenn ja wie?

Seit ein paar Tagen ist es mir auf jeden Fall eine Art Denkvirus geworden immer wieder darüber nachzudenken, ob und ggf wie man das Ziegendilemma generalisieren und auf biologische Evolution übertragen kann. Es folgt ein kleines Gedankenspiel, in dem ich versuche das oben im Video erklärte Ziegenproblem auf ein anderes Szenario zu übertragen.

Man stelle sich zwei Fische vor, die in einem symbiotischen Verhältnis leben und, was ihre Fähikeiten und Nahrungsgründe betrifft, vor einer Art “Ziegendilemma” stehen.

Angenommen diese beiden Fische würden sich von unterschiedlichen Teilen einer bestimmten Unterwasserpflanze ernähren. Diese Unterwasserpflanze wäre die sogenannte "Drei-Tür-Blume". Diese Blume hätte immer drei fest geschlossene Blütenkelche. Und in zwei Blütenkelchen wären immer sogenannte "Ziegenstempel" und in einem der drei ein sogenannter "Autostempel".

Der eine Fisch, der "Moderatorfisch", wäre nun stockblind, wie ein Maulwurf, hat aber die Fähigkeit durch die geschlossene Blüte hindurchzuriechen und seine Nahrung direkt zu finden: den "Ziegenstempel".
Der andere der "Probandenfisch" könnte gut sehen, hätte aber nicht die Fähigkeit durch die Blüten hindurchzuriechen. Dazu sei angenommen: Beide Fische sind relativ schwach, so dass sie immer nur eine, der fest verschlossenen "Drei-Tür-Blumen-Blüten" öffnen können und sich dann erstmal erholen müssen.

Beide Fische würden nun also so durch die Gegend schwimmen. Der Probandenfisch kann gut sehen, also entdeckt er früher oder später die nächste "Drei-Tür-Blume" und die beiden steuern diese Blume an.

Würde der "Moderatorfisch" zuerst an die Blume gehen, durch die geschlossene Blüte hindurchriechen, zielsicher sein "Ziegenstempel" erkennen, mühselig die Blüte öffnen, den "Ziegenstempel" unverzüglich essen und dann Pause machen (Energiekosten der Nahrungserschliessung), dann würde der "Probandenfisch" danach vor einer 50/50 Chance stehen, dass er seinen Autostempel nicht findet und entsprechend vergebens seine Energie verwendet hat.

Wenn der  "Probandenfisch" aber zuerst an die Blume geht, zufällig eine der drei Blüten auswählt, dann aber dem "Moderatorfisch" den Vortritt lässt, sich aus den beiden verbliebenen, nicht-gewählten Blüten seinen Ziegenstempel herauszuzupicken, dann erhöht sich die Chance für den "Probandenfisch" von 1/1 auf 2/3, wenn er nun von seiner zuerst gewählten Blüte ablässt und wechselt, auf die dann noch übergebliebene Blüte. Das Verhalten des "Probandenfisches" erst zu wählen, dann auf den "Moderatorfisch" zu warten, zu sehen was er mit den anderen beiden Blüten macht, um dann seine Wahl zu wechseln, dieses Verhalten würde sozusagen seinen Energieaufwand/Nachrungserschliessungs-Koeffizienten verbessern. Und letztlich nicht nur seinen. Beide könnten im Schnitt dann auch schneller zur nächsten Blüte aufbrechen, weil der "Probandenfisch" der ein solches Wechselverhalten zeigt zu 2/3 beim ersten Versuch seinen "Autostempel" findet. Das wäre in diesem Fall letztlich für die symbiotische Beziehung der beiden vorteilhaft.

Könnte es sein, dass sich in der Evoution parasitäre und auch symbiotische Beziehungen entwickeln und diese, wenn sie auf quasi-Ziegendilemma stossen einen realen Grund haben Absicht, bzw. Intention zu entwickeln (um sie dann wechseln zu können!)? Bzw. Lebewesen, in diesem Fall hier unsere Fische, in der selben ökologischen Nische, die sich nicht entsprechend Verhalten, also nicht in diesem Sinne ein komplementäres Verhalten ausbilden, sukzessive verdrängt werden? (Wenn ich eben “realer Grund” geschrieben habe meint das natürlich den Vorteil für die Reproduktion in der Evolution, bzw. die Energiekosten der Nahrungserschliessung).

Macht es also Sinn sich Konstellationen von Tieren vorstellen, die in diesem Sinne eine Art generalsiertes “Ziegendilemma” vor sich haben und die einen evolutionären Vorteil herausschlagen, in dem sie es im besagten Interaktionsmuster komplementär auflösen (Absicht-Beobachten(Warten)-Wechseln / Beobachten(Warten)-Direkt Auswählen). Wer kann schon einen Zusammenhang zwischen Absicht, bzw. Intention und einem evolutionären Vorteil qua Kooperation leugnen? Ein solcher Ansatz würde nur behaupten, dass Absicht kein individualpsychologisches Urmoment hat, sondern ein soziales. Dass wechselseitiges Beobachten unter bestimmten Umständen einen Modus der Unsicherheitsabsorbtion verfügbar macht, das scheint zunächst nicht neu; Aber dass der Modus auf einem Wechsel von Positionen fusst und es nicht um das Finden von Bestlösungen geht, dass scheint weniger intuitiv als die Sozialfundiertheit der Ausbildung von Absicht, freuen wir uns doch so über gewonnenes Wissen und sehen allzu ungern ein, dass es - so bequem es auch war - durch das nächste ersetzt werden muss.

In meinem Gedankenspiel hier gilt nun offensichtlich: Würde der "Probandenfisch" oben keine Absicht entwickeln, im Sinne einer Auswahl, die er dann wechselt, nachdem der "Moderatorfisch" auf ihn reagiert hat, dann wäre er auf eine 50/50 Chance begrenzt.

Wie auch immer, das erinnert mich inhaltlich irgendwie an einen Begriff aus der Organisationtheorie, nämlich den der "Unsicherheitsabsorbtion". Es gab nun vergleichsweise früh Organisationstheorien  (z.B. 1958 March, Simon), die Organisationen mit dem Begriff der "Unsicherheitsabsorbtion" beschrieben. Das sind Theorien die informationstheoretische Momente mit aufgenommen haben. Wenn man will, kann man nun in so einem Sinne den Verlauf, der durch das Ziegenproblem beschrieben wird entsprechend informationstheoretisch als Prozess der  Unsicherheitsabsorbtion beschreiben. In dem man nämlich eine iterative Interaktion zwischen Moderator und Proband beschreibt: Der Proband wählt eine Tür und der Moderator reagiert genau darauf. Konkret: Der Auswahlbereich für den Moderator (die übrigbleibenden Türen), aus dem er dann eine Ziegentür öffnet, wird von der Selektion des Probanden vorher eingeschränkt. Unter den übersichtlchen Bedingungen der Ziegenproblemstellung gilt so: Die Selektion des Probanden schränkt den Auswahlbereich für eine darauf folgende Selektion des Moderators ein und so reichert wiederum die folgende Selektion des Moderators (Ziegentür öffnen) das Unwissen des Probanden mit einem Informationssurplus an. Das gilt natürlich nicht für einen unbeteiligten Beobachter, der z.B. eine andere Tür gewählt hat, auf den der Moderator aber nicht reagiert. Es ist scheinbar die Interaktion selbst, das aufeinander Reagieren, das wechselseitige Beobachten, was dieses "seltsame Informationssurplus" über die Verteilung beisteuert. (Diese Stelle habe ich erstmals zu einem Beitrag von Klaus Kusanowsky als Kommentar formuliert ... interesanter Kommentarstrang btw., in dem Klaus auch noch eine andere interessante Perspektive beschreibt. Hier dazu noch ein interesanter Blogpost von Klau zum Gedächtnisproblem des "Ziegentheoretikers".)

Auch viele Dilemma-Modelle der klassischer Entscheidungstheorie werden zumindest als kultivierbar, auf jeden Fall um ein vielfaches interessanter denkbar, wenn man weg geht von so einer Vorstellung von Interation als ständige "One-shot"-Entscheidungen, und statt dessen eine Evolution selbstreferentieller Systeme unterstellt. Kommunikation, bzw. Organisation liesse sich so z.B. entsprechend als System beschreiben, über das sozusagen Entscheidungen iteriert werden. Unsicherheit in rekursiven Entscheidungsdurchlaufen kann qua Kommunikation, Erleben und Handeln absorbiert werden (muss aber nicht unbedingt). Man kann sich aber Mühe geben und Glück haben.

Und wenn das hier nicht eine einzige Abschweifung wäre, dann würde ich jetzt schreiben: ich schweife ab.... und deswegen nun folgend die richtig diffusen Abschweifungen meiner Skizzenreise der letzten Tage, nur noch fürs Protokoll:

Warum könnte das so sein? Ich meine, dass es einen Impuls gibt zu sagen: Wieso? ist doch egal ob ich wechsel. Und: Wieso nehmen wir das Ziegenproblem überhaupt als Problem wahr? Was kann uns das sagen?

Man könnte natürlich sagen: Gut, da ist so eine Art spontaner "Schicksalsglaube" am Werk. Oder: da ist ein "Rechthaber- oder Selbsüberschätzungstrieb", der uns diese Intuition nahelegt. Das hätte die gleiche unbefriedigende Erklärungskraft, als würde man behaupten unser Unbewusstes möchte lieber eine Ziege gewinnen. Also, wie könnte man anders ansetzen, um der Frage nachzugehen warum das Ziegenproblem unsere Intuition enttäuscht?

Könnte ein Zusammenhang damit bestehen, dass unser aller naives Alltagsweltbild z.B. standardmäßig auch unsere Interaktion und Kommunikation in ihrem "Wert" unterschätzt, bzw garnicht sieht? (wie im Falle des Ziegenproblems die Interaktion zwischen Moderator und Entscheider. Der Moderator deckt eine der übriggebliebenen Karten auf. .. und dann folgen weitere Entscheidungen......einen Statistikneglekt mal vorausgesetzt).

Könnte es sein, dass so ein "Wissensaufssaug-Informationsautobahn-Tauschvorstellungs-Weltbild" uns dazu führt die Vorteile einer Veränderung des eigenen Standpunktes im Bezug auf "Wissen" zu unterschätzen? Eine implizite Tauschhandelsmetaphorik tut zumindest das evtl Nötige unserem Ego den Blick auf die Vorteile zu verstellen. Weil wir eine Veränderung des eigenen, mit einer Übernahme des Standpunktes des anderen gleichsetzen und dann schnell das ganze in einer Verbindlichkeits-, Schuld- oder Niederlagekategorie denken können.

Könnte es sein, dass wir z.B. zu einfache Sprachspiele spielen? Also, wir z.B. so zuschreiben, als ob wir etwas austauschen würden, wenn wir kommunizieren? So kann man dann zumindest auf die Idee kommen im Umgang mit Kommunikation/Gesellschaft wäre es ideal sich möglichst früh viel Wissen anzueignen, mit dem man dann sein Leben unterwegs ist und handel betreiben kann. Ich sag das einfach mal so überspitzt. Kommunikation wäre in so einem Fall sozusagen nur als eine Art Infrastruktur der Informationsautobahnen gedacht. Der Kommunikation würde in so einem Denkfall zunächst kein eigenes "Beobachtungspotezial", kein eigenes "Diskriminationspotenzial" zugebilligt, dass u.U. indirekte Informationen beisteuern kann (Was das Ziegenproblem ja schon dadurch nahelegt, als dass es überhaupt als Problem wahrgenommen wird)

Wie auch immer: 
Zwischenfazit: Es liegt nahe, dass das Ziegenproblem garkeines ist, sondern sich einfach nur ein Aha-Erlebnis in Bezug auf eine naive Voreinstellung in unserem Weltbild durchsetzen möchte. Aber wie man da weiter differenzieren kann, da fällt mir grad nichts ein..... und ob das hier überhaupt Sinn macht? (Das ganze Elend hier habe ich ursprünglich in etwas anderer Form als G+Beitrag geschrieben)