Mittwoch, 22. Januar 2014

Über Vorstellungen von repressiven Regimen

Ein Problem, das für mich durch die Snowden-Enthüllungen offenbar wurde, das betrifft garnicht das Internet und nur indirekt die Unterwanderung unserer Grundrechte. Und das ist eine besondere Vorstellung von repressiven Regimen. Es ist eine Vorstellung die repressive Regime irgendwo Overthereistan verortet. Das hat mit Sicherheit mit unserer Geschichte zu tun, dass wir uns repressive Regime vorrangig als ein von einem jeweiligen Despoten (und seinen Vasallen) geführten Systemen vorstellen, in dem Menschen in großem Umfange körperlich unterdrückt und getötet werden, um den Willen weniger durchzusetzen. Dazu kommt sicherlich, dass eine solche krude Form der Herrschaft in der Welt noch nicht “ausgestorben” ist und wir tagtäglich in den Medien mit Berichten aus Ländern konfrontiert werden, in denen offenbar noch Despotien die Menschen unterjochen. Da liegt der Schluß allzu sehr nahe unsere demokratischen Systeme, in denen Herrschaft nicht mehr (oder nur noch im legitimierten Einzelfall) durch die direkte Bedrohung von Leib und Leben der Einzelnen verwirklicht wird, als eine Art “guten” Gegenpart zu sehen in dem “das gröbste” sozusagen überstanden ist. Wir werden nicht mehr direkt bei Leib und Leben bedroht und so auf Linie gebracht. Wir haben Freiheiten.

Ich schreibe das hier, weil, das zweithäufigste Argument (direkt oder indirekt), das ich im Zusammenhang mit der Bedrohung unserer Grundrechte höre ist: “Wir leben ja nicht unter einem repressiven Regime. Wenn das so wäre, das wäre ja was anderes...”. Was aber, wenn die “altmodische” Form der Herrschaft durch die Bedrohung der Körper garnicht das Ende der Fahnenstage ist? Was ist, wenn wir als Menschen ganz anderen Entwicklungen von Herrschaftssystemen gegenüberstehen? Schauen wir uns die Entwicklung der letzten 150 Jahre - meinetwegen seit der Enddeckung der Elektrizität - an. Dann scheinen sich plutokratische Systeme, die die Menschen mit Einkommen und gewissen Freiheitsgraden ausstatten um ein vielfaches wirkmächtiger und sozusagen in der Evolution der Herrschaftssysteme deutlich überlegen. Das große Problem scheint mir, dass diese durchaus in der Lage sind mit demokratischen Systemen “umzugehen”, sie zu unterwandern und zu korrumpieren. Wir gehen gern davon aus, dass wir Grundrechte nur zum Schutz des Einzelnen vor einem brutalen Staat brauchen. Und wenn keine Art Adolf-Nazi-Despot mehr zu befürchten ist, dann leben wir nicht in einem repressiven Regime und Grundrechte werden quasi als eine Art Atavismus, als eine Art Blinddarm betrachtet, dem man sich auch sukzessive entledigen kann, oder sogar muss, um Sicherheit gewährleistbar zu machen.

Was aber wenn “die Wirtschaft” und ihr “diabolisches Kommunikationsmedium” Geld ganz andere gesellschaftliche Probleme und Probleme der Freiheit des Menschen aufwerfen, als die Schreckensregime der körperlichen Unterdrückung? Was wenn Wirtschaft ebenso durch die Gelder der organisierten Kriminalität unterwanderbar ist, wie die Politik durch die Wirtschaft? Was macht die organisierte Kriminalität z.B. allein mit den zig Mrd., die sie jählich alleine mit Drogen einnimmt? Was, wenn das Risiko unserer Zeit nicht mehr darin besteht, dass Politik, Geheimdienste und Wirtschaft von einem brutalen Despoten “übernommen”, bzw. kontrolliert werden? Brachen wir Grundrechte nur um den einzelnen Bürger vor einem brutalen Staat zu schützen? Brauchen wir Grundrechte vielleicht nicht um den Einzelnen vor dem Staat, sondern vielleicht auch, um einen demokratischen Rechtsstaat vor einzelnen oder vor Organisationen zu schützen?

Kein intelligenter und machtbesessener Einzelner oder eine entsprechende Gruppe würde heute wohl noch auf die Idee kommen Herrschaft auf die labilen Füße einer “brutalen” Despotie zu stellen. Sind wir als Gesellschaft darauf vorbereitet, dass Herrschaftssysteme heute einen ganz anderen Abtraktionsgrad aufweisen? Was wenn die Königreiche der körperlchen Gewalt längst in Fürstentümer der ökonomischen Macht übergegangen sind? Was wenn eine Anzahl von Menschen, die in eine mittelgroße Disko passt ganze Volkswirtschaften quasi aus der Portokasse beschäftigen, bzw. mit Einkommen versorgen kann?
Ich weiß es nicht.Die Macht über Menschen, die man erlangt, wenn man sie großflächig mit Einkommen versorgt, die scheint mir zumindest viel größer, als die die man erwirkt, wenn man sie bei “falschem” Verhalten bei Leib und Leben bedroht. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass die deutlich zu beobachtenden Konzentrationen von ökonomischer Macht in den Händen sehr weniger Privatpersonen eine ausserordentlich große Gefahr für die Freiheit und das Wohl der Menschen insgesamt darstellt. Und eine mindestens gleichgroße Gefahr sehe ich darin, dass wir repressive Regime nur dort sehen, wo noch Despoten alter Schule am Werk sind.